miteinander unterwegs

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Da ging unmittelbar nach dem „lockdown“ eine große Welle an Solidarisierung durch’s Land: das Miteinander, das gegenseitige „aufeinander Schauen“ wurde vertieft erfahren. Unzählige Initiativen haben sich gegründet, die sich gegenseitige Hilfe und Helfen auf die Fahnen geschrieben haben. – Zu bemerken war einige Zeit später freilich auch – die ersten Lockerungen der Regierung wurden angekündigt: „Wieso der und wieso nicht ich?“ Kirchlich spielte sich das ähnlich ab: „Wieso dürfen Märkte öffnen und bleiben Kirchen geschlossen?“[1] Auch ich habe mich hierbei mal zu Wort gemeldet. Um nach einiger Zeit des Reflektierens mich auch zu fragen, ob das nicht reichlich „pubertär“ war statt mit der Situation, die es eben jetzt gerade gibt, umzugehen? Ich habe ja nur das Jetzt um zu leben: was morgen sein wird, weiß ich nicht – ich weiß ja nicht einmal, ob es dieses morgen geben wird; was gestern war ist längst vorbei. – Nicht vergessen werden darf die Feststellung, dass Kirchen nie (!) „zu“ waren, sondern immer für das persönliche Gebet geöffnet. Auch das war ein wichtiger Beitrag zur „spirituellen Grundversorgung“ unserer Gesellschaft, die beinahe nur die physische Gesundheit im Blick hatte.

Als dann bekanntgegeben wurde, dass unter Auflagen auch wieder Gottesdienste in Kirchen erlaubt sein würden, begann ein interessantes „Feilschen“: „Darf’s ein bisserl mehr sein?“ Und kaum war eine Frage mal geklärt, wurde unmittelbar danach – auf unterschiedlichen Ebenen des Volkes Gottes – moniert, dass es doch mehr geben müsse … „So schnell wie möglich zurück in den ‚Normal-Modus'“ schien die Devise zu sein, dann wäre alles wieder in Ordnung. Wirklich? War vorher „alles“ in Ordnung?

Ich kann sehr wohl die Sorge und die Not vieler teilen, die in Emails und auf anderen Wegen, mitunter recht vorwurfsvoll, in den letzten Wochen und Monaten an mich und wohl auch andere Bischöfe ergangen sind. Und zugleich stelle ich die Rückfrage, ob denn wirklich „übliches kirchliches Leben“ die alles entscheidende Frage ist. Dabei meine ich nicht so sehr die – auch – berechtigten Fragen, wie die Menschheit mit einem neuartigen Virus umgehen lernt und dass es in Afrika und anderswo wohl noch weit größere Katastrophen als bei uns geben wird. Ich meine eher die Einordnung der Kirche als „Instrument“, als „Mittel“ zum Heil. Kirche ist nicht das Ziel unseres Lebens, dieses ist das Leben mit Gott. Die Kirche als ganze samt den Sakramenten ist eben ein Mittel um dorthin zu gelangen. Und daher gilt es immer die Beziehung zu Gott im Blick zu haben und die nicht aus dem Auge zu verlieren. P. Karl Wallner hat dazu bei einer Messfeier, die im Internet übertragen wurde, am 30. April 2020 sehr emotional sowohl in der Einleitung wie auch in der Predigt (ca. ab Minute 14’30“)Stellung bezogen.

Schaffen wir es als Einzelne, das Große und Ganze im Blick zu haben, in dem ich leben, das mir – allgemein formuliert – auch das Leben ermöglicht? Oder sind auch wir – als Christen (!) – Kinder unserer Zeit, die meinen, aus sich selbst heraus zu leben und daher gilt es zunächst und zuallererst auf uns selbst zu schauen?! Wir sind soziale Wesen – und das gilt es dann auch in herausfordernden Situationen zu leben, auf Distanz, und mitunter sogar allein. So sehr ich von mir sagen kann und sagen darf, geliebtes Kind Gottes zu sein, so sehr gilt, dies auch von jedem und jeder anderen in meiner Umgebung zu sagen. Daher ist es eben auch (!) Auftrag, nicht nur die eigenen Scherflein ins Trockene zu bringen, sondern auch das Wohlergehen der anderen im Blick zu haben, denn nur in lebendigem Miteinander – dies ist notwendig, denn auch das Virus machte deutlich, wie sehr wir als Welt zusammengehören! – werden die Welt mehr und mehr nach Seinem Bild gestalten können.

[1] vgl. Titelseite der Kleinen Zeitung vom 17. April 2020.