Nachdenkliche erste Zusammenschau afrikanischer Eindrücke

Wenn am vergangenen Sonntag Kanzlerin Merkel bei der Eröffnung des Weltfriedenstreffens der Bewegung „Sant‘ Egidio“ unter anderem davon gesprochen hat, dass Religionsgemeinschaften und Kirchen in erster Linie für humanitäre Lösungen von Problemen einsetzen und damit unersetzliche Partner in der Entwicklungszusammenarbeit für die Politik seien, wobei vor allem für Europa Afrika in den Blick zu nehmen ist (1), dann spricht sie damit eine Wirklichkeit an, die ich nach 2 Wochen „Erfahrung“ im Osten Afrikas eigentlich nur bestätigen kann. Ja: die Kirche/n ist/sind – bei allem, was auch dort zu verbessern ist und in vergangenen Zeiten nicht immer dem Evangelium entsprechend war, heute Anwälte für die Menschen. Und damit ihrer Würde. – Dieses Bild möchte ich mit nach Hause nehmen in unsere Heimat um auch deutlich zu machen: Lassen wir uns auch (!) von den Erfahrungen derer, die sich für das Evangelium in Afrika engagieren, ihre Sichtweisen so mancher Fragestellungen erläutern. Bei weitem nicht immer wissen wir es besser – da klingt eher manchmal noch Vergangenes Umgehen Europas mit dem Rest der Welt durch. Ganz zu schweigen von den wirtschaftlichen Abhängigkeiten etc., in denen die industrialisierte Welt nach wie vor afrikanische Staaten belassen will. So wie Europa eine Seele braucht (J. Delors), so braucht diese auch die Wirklichkeit der einen Welt:         „Angesichts immer globalerer Räume und der Furcht vor Invasionen kommen alte Schrecken von neuem zum Vorschein.“ meinte bei der Eröffnung des Treffens auch der Gründer der Gemeinschaft Sant‘ Egidio Andrea Riccardi (1).

Seit ich erstmals meine Füße auf afrikanischen Boden vor etwas mehr als 2 Wochen gesetzt habe, wird mir dies immer deutlicher: Ja, die Christen und damit die Kirche/n haben ein weltweites Netzwerk von authentischen Berichten, was sich wirklich abspielt vor Ort, um es plakativ auszudrücken. Deren Sichtweise überschneidet sich vielleicht nicht zur Gänze mit dem, was bei uns veröffentlicht wird, trägt aber mit Sicherheit zu einem umfassenderen Blick bei. Und dieser Herausforderung müssen (!) wir uns stellen, um nicht den Algorithmen der sozialen Medien zu verfallen und nur mehr das als „wahr“ zu erklären, was uns durch diese als einzige Realität vorgegaukelt wird, eigentlich aber nichts anderes macht als die eigene Meinung zu bestätigen. Ich jedenfalls habe so manches in meinem Verständnis von Afrika „umbauen“ müssen und verstehe nunmehr den Begriff „Entwicklungszusammenarbeit“ im Unterschied zur bloßen, vielleicht – ohne es zu wollen – von ‚oben herab‘ empfundenen Entwicklungshilfe – besser. Es geht um die Achtung der Würde des Menschen, um Begegnung auf Augenhöhe, um Ernstnehmen eines vielleicht anderen Blickwinkels auf dieselben Fragestellungen, und um alles andere als „Besserwisserei“. Was dient den Menschen wirklich unmittelbarer – und das ist eben mehr als das Ankurbeln der Wirtschaft, so sehr dies auch notwendig ist.

Zugleich habe ich die Entdeckung machen dürfen, wie sehr der Glaube hier das Menschsein vertieft und selbstverständlich ist für das was Entwicklung heißt. Wir in Europa sind oft jene, die das eine vom anderen „säuberlich“ trennen wollen, aber vieles an Hilfestellung kirchlicher Projektpartner in der Entwicklungszusammenarbeit ist nur auf dem Hintergrund gelebter Nachfolge Jesu Christi zu verstehen. Damit Kirche sich von anderen NGOs unterscheidet: aus dem Antrieb des Evangeliums gehen wir so und nicht anders auf die Welt zu, das Evangelium und seine befreiende Botschaft sind es, die uns in jedem/r Nächsten Schwester bzw. Bruder zu sehen lehren – und das kann und darf nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden. Auch deswegen nicht, weil wir bekennen, dass Christus der „vollkommene Mensch“ ist und in IHM sich daher unser Verständnis des Menschen in der Welt wie in einem Brennglas fokussiert. Christus ist eben ganz Gott und (!) ganz Mensch – beides kann nicht einfach auseinanderdividiert werden: das Sezieren würde in die Irre führen. So kann eben auch Menschsein und als Glaubender Mensch sein nicht fein säuberlich in die eine oder andere Waagschale gegeben werden: als Mensch sind wir Christen und haben Christus als Gewand angelegt, wie es in einem alten Hymnus der Taufe wunderschön heißt. Weil wir uns in Christus als Schwestern und Brüder weltweit verstehen sind wir verpflichtet, einander beizustehen, dass Leben und dass eben auch Leben im Glauben möglich ist und frei möglich ist. Die religiöse Dimension in der Entwicklungszusammenarbeit auszublenden würde dem ganzheitlichen Verstehen des Menschen widersprechen. Nur so ist es möglich, dass Kirche hier die größte Hilfeleisterin in Sachen AIDS ist, dass Kirche hier für die Rechte der Menschen unermüdlich in vielen Projekten eintritt und sich engagiert und Netzwerke schafft auch gegen so manche zunehmende politische Verengung. Darüber hinaus muss einfach zur Kenntnis genommen werden – ob es uns im reichen Europa passt oder nicht: mehr als 1,3 Mio. flüchtende Menschen hat derzeit Uganda aus dem Südsudan aufgenommen: alle sind biometrisch erfasst und allen wurde zumindest ein kleines Stück Land zugewiesen, damit sie sich selbst versorgen können – Menschlichkeit, Verbundenheit etc. stehen da unter den Ärmsten der Armen auf der Tagesordnung.

Natürlich habe ich nur einen kleinen Ausschnitt von Afrika in einigen Tagen gesehen. Natürlich verstehe ich nach den beiden Wochen in Uganda und Tanzania die afrikanische Welt nicht zur Gänze. Natürlich weiß ich, dass hier vieles nicht rund läuft. Natürlich habe ich so manches an Fragestellungen mit der Delegation und unseren Gesprächspartnern kritisch beleuchtet. Natürlich können wir als Diözese Graz-Seckau nicht die ganze Welt „retten“. Natürlich wissen wir um so manche Schwierigkeiten in der politischen Entwicklung. Natürlich nimmt die Kirche, wiewohl sie hohes Ansehen genießt in der Person ihrer Verantwortungsträger nicht immer und sofort zu allen Ungerechtigkeiten Stellung. Natürlich … – das Lamento könnte wohl seitenlang fortgesetzt werden. Aber – und diese Geschichte hat der Kuratoriumsvorsitzende des „Welthaus Graz“, Dr. Johann Pfeifer am vergangenen Sonntag beim Fest in Iringa zum besten gegeben: der Kolibri, ein ganz kleiner Vogel, der das Feuer im Busch, vor dem alle anderen Tiere einfach geflüchtet sind, mit Wasser in seinem Schnabel zu löschen versucht und dafür von den anderen einfach ausgelacht wird, meint: „Das, was ich tun kann, das tue ich“. Und deswegen wird mir nach den Erfahrungen der letztjährigen größeren Reise nach Vietnam und Südkorea auch heuer deutlich: die Luft anderer welt-kirchlicher Erfahrungen lässt mich nach meiner Rückkehr deutlich spüren: Die Botschaft des Evangeliums braucht diese Welt – und wir dürfen sie in unserer Heimat Europa als Frohe Botschaft bezeugen! Verlassen wir ruhig unsere Schneckenhäuser, in die wir uns als Katholiken mitunter zu verkriechen scheinen, weil sich halt die Welt und damit in ihr auch das und der Glauben der Menschen ändert: unsere Botschaft ist eine, die zu dem führt, was wir in der religiösen Sprache „Heil“ nennen. Und Heilung braucht so vieles in der Welt, bei uns in der kleinen und auch in der großen unseres gemeinsamen Hauses Erde. Leben wir das Evangelium!

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(1) https://www.kathpress.at/goto/meldung/1543025/merkel-eroeffnete-weltfriedenstreffen-von-santegidio-in-muenster