Sich an den Glauben herantasten

Für die Messfeier in Santa Maria dell’Anima am sogenannten „Weißen Sonntag“, dem „Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit“ habe ich folgende Worte für die Predigt vorbereitet.

„Jesus kennt die Seinen. Das traue ich mir zu sagen gerade angesichts der Art und Weise wie er mit Thomas in dem uns ganz und gar vertrauten Evangelium verfährt. Wen wundert’s wirklich, dass die Auferstehung nicht so einfach geglaubt werden kann? Wenn wir uns selbst dieses „Geheimnis unseres Glaubens“ in Erinnerung rufen: ist dieses Vertrauen an das Leben wirklich ganz tief in unser Dasein eingeprägt, ohne dass Fragen aufkommen, ohne das Zweifel sich breit machen? Ehrlich: ich empfinde Thomas als ganz und gar sympathischen Kerl. Weil er mir, wohl auch (vielen von) uns sehr ähnlich ist. Wir tun uns einfach leichter und es ist angesichts der letzten Jahrhunderte mit ihren großen Errungenschaften in den Naturwissenschaften auch mehr als verständlich, dass wir eher etwas annehmen und übernehmen, wenn es messbar ist und gezählt werden kann. Und das alles – um es salopp zu formulieren – gibt es eben beim Faktum der „Auferstehung von den Toten“ nicht.
Wie eine Hebamme erscheint mir der Auferstandene Thomas gegenüber. Er führt ihn Schritt für Schritt zum Bekenntnis: „Mein Herr und mein Gott!“ Er ist sich dafür nicht zu schade. Er liebt ihn. Er hält Thomas nicht vor, dass er eigentlich wissen sollte aus den Jahren in denen er mit ihm unterwegs war, wer Er ist. Und mit dieser Art seiner Liebe, die auch Barmherzigkeit genannt werden kann, und die er nicht nur lebt, sondern ist, wird Einblick in das Wesen Gottes ermöglicht. Wir stellen uns die Szene bildlich ohnedies meist eindrücklich vor und haben wohl auch die eine oder andere Darstellung im Kopf, wie Thomas sich zum Bekenntnis herantastet. Ja: im Bekenntnis zum Auferstandenen, im Rühren an Seine Wundmale – um es bildlich auszudrücken – schauen wir das Wesen unseres Gottes, dessen Name – um unseren Papst in seinem sehr lesenswerten Interviewbuch zu zitieren – Barmherzigkeit ist. Im Übrigen ist diese Bezeichnung Gottes eine, die schon Papst Benedikt XVI. verwendet hat. Aus seinem Leben nämlich, das er als Gott mitten unter uns Menschen geführt hat, wird uns auch im Heute dieser Welt deutlich, dass Gott mitten unter uns erfahren werden kann, dass der Himmel – um es anders auszudrücken – nicht nur eine Wirklichkeit für das „Danach“ ist, sondern inmitten des Alltags erfahren werden kann. Und damit wird auch deutlich: dort wo Liebe, dort wo Barmherzigkeit gelebt und damit auch erfahren wird, dort öffnet sich der Himmel ein Stück weit. Ich bin mir sicher, dass unser Papst uns mit der Feier des außerordentlichen Heiligen Jahres in die Herzmitte unseres Glaubens führen möchte. Er lädt uns förmlich ein, in diese Mitte einzutreten, sie zu berühren und damit unser Glaubensbekenntnis, aus dem heraus wir nur leben können, zu erneuern.
Anders ausgedrückt: „Geben wir wie Thomas nicht nach!“ Rühren wir immer wieder neu mit unserem Dasein, mit unserem Alltag an diesem Jesus. Dann, wenn wir ihm begegnen in Seinem Wort, wenn wir uns stärken lassen von Ihm in den Sakramenten, dann wenn wir Ihm in den Notleidenden Schwestern und Brüdern begegnen, die uns an die Seite gestellt werden oder uns über den Weg rennen. Und indem wir ihn anrühren mitten in unserem Leben erfahren wir das Leben, das kein Ende kennt, werden wir wie von selbst zum Bekenntnis geführt: „Mein Herr und mein Gott!“