„Wenn man sich [..] gegenseitig lieblos verdächtigt, wenn man sich gegenseitig ‚abstempelt‘ als ‚reaktionär‘ oder als ‚progressistisch‘, wenn man gegenseitig nicht mit sachlichen Argumenten, sondern mit Emotionen aufeinander losgeht, wenn jede Gruppe, jede Zeitschrift, jede Zeitung usw. nur noch pauschal qualifiziert und abqualifiziert werden, wenn einer dem anderen, weil Meinungsverschiedenheiten bestehen, schon gleich als dumm und böswillig, als reaktionär oder das Christentum modernistisch auflösend erscheint, wenn man sich nur mehr in den Kreisen bewegt, die einem selbst von einem letztlich doch sehr unreflektierten und sehr wenig kritisch durchleuchteten Instinkt heraus sympathisch sind, wenn dem einen das Neue immer schon als der Weisheit letzter Schluß oder nur als die tödliche Gefahr für alles echte Christentum erscheint, dann ist die Gefahr einer dummen und letztlich unfruchtbaren Polarisierung gegeben.“[1]
Das, was hier ganz aktuell klingt, wurde vor 50 Jahren geschrieben, von Karl Rahner in einem Beitrag zur damals begonnenen sogenannten „Würzburger Synode“. Scheinbar hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht viel geändert – und die Frage darf erlaubt sein: „War es zu früheren Zeiten wirklich einmal anders?“ Dennoch: Es macht erneut deutlich, wie notwendig, weil Not wendend, der Kulturwandel ist – alles andere als leicht zu beginnen und erst recht nachhaltig umzusetzen – der unserer Kirche durch Papst Franziskus auferlegt wurde und ist. Mehr noch: ich glaube, dass so manches – und wir Bischöfe haben das immer wieder in so manchen Äußerungen der letzten Jahre festgestellt – davon auch in der Gesellschaft ähnlich benannt werden kann. Wo sind die Zirkel, in denen versucht wird, einander zuzuhören, Meinungen auszutauschen, auch Personen zuzulassen, die eine andere Sichtweise einbringen?
Noch einmal also: es geht Papst Franziskus wohl weit mehr um einen Prozess denn um klare Standpunkte, in denen wir ohnedies versucht sind uns einzubunkern. Und dieser muss angegangen und gewagt werden! – Wenn ich etwa auf die letzten Entwicklungen blicke, die unsere Gesellschaft in der Pandemie nimmt, dann ist es höchst notwendiger Dienst an unserer Gesellschaft und elementarst für das Leben von Kirche. Ich erinnere mich an die Forderungen an die Vertreter der Kirche „Wir wollen unsere Messe wieder!“ genauso wie an jene, die sich einfach mit dem Verweis auf Glauben und Gott über alle menschlichen Richtlinien hinwegsetzten und hinwegsetzen und auch nicht davor zurückschrecken, dann Menschen mit anderer Meinung, die sich etwa nur auf den Papst und dessen Lehramt berufen, einfach des Unglaubens zu zeihen und emotionalst antworten … uch frage mich dann oft: „Was mag dahinter stecken, dass jemand so reagiert?“ Aber genau das aufzunehmen und die Sehnsucht zu ent-decken, die dazu verführt, ist eigentlich auch etwas, das wichtig wäre, will man einander verstehen … Klar wird erneut: Dialog ist nicht nebensächlich und echter Dialog ist alles andere als leicht. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck verleihen: Dialog ist möglich, weil es – aus dem Horizont unseres Christseins gesprochen – um niemand geringeren Gott als Gottes Wort (logos) zwischen uns (dia)!
[1] Karl Rahner: Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance. Mit einer Einleitung von Michael Seewald, Freiburg i.B. 2019, 58, zitiert nach: Stefan Kopp: ‚Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance‘. Das Reformprogramm Karl Rahners zur Würzburger Synode, in: Herbert Haslinger (Hg.): Wege der Kirche in die Zukunft der Menschen. 50 Jahre nach Beginn der Würzburger Synode, Freiburg i.B. 2021, 34-48, hier: 37.