„Täter-Umkehr“

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Ein Pfarrer hat mir nach Vorliegen der Regelungen für die Gottesdienste in geschlossenen Räumen ab 15. Mai geschrieben, dass diese eine Katastrophe seien … Ich habe mir spontan gedacht, wieso diese Regelungen eine Katastrophe sind, ist es doch ein Virus, dass weltweit eine Katastrophe ausgelöst hat.

Natürlich kann trefflich über Ungereimtheiten gestritten werden – ganz abgesehen davon, dass Regelungen für Gottesdienste unter freiem Himmel erst danach herausgegeben wurden, auch wenn deren Umsetzung mit demselben Datum [15. Mai] angepeilt war: das Leben und damit auch das Leben der Kirche ist eingeschränkt, nach wie vor! Darüber hinaus wurde immer von einem „Stufenplan“ für die Gottesdienste geredet, was eben auch bedeutet, dass es langsam „retour“ geht in die uns bekannte gottesdienstliche Feier – bekanntlich werden die Maßnahmen der Regierung auch in 14-Tages-Intervallen evaluiert und gesetzt: Sind wir fähig, mit Krisen umzugehen? Liegt nicht vielleicht auch alledem die Sehnsucht zugrunde, dass wir einfach den „normalen Zustand“ und damit unseren „normalen Betrieb“ so schnell wie möglich wieder erreicht haben wollen? Wäre – und diese Frage getraue ich mir zu stellen – dies aber wirklich richtig? Haben wir nicht schon Jahrzehnte Kirche verengt auf Gottesdienste und noch verstärkt verengt auf Gottesdienste, die von Priestern geleitet werden, gesehen und auch gelebt? Viele Formen von Andachten sind „weggebrochen“, der Eindruck entstand und hat sich verfestigt, dass Kirche nur dort lebe, wo ein Pfarrer ist. Um es an einem kleinen Beispiel zu erläutern: bei einer Trauung vor Jahrzehnten hat mich ein Brautpaar darauf angesprochen, wieso ich die beiden nicht zum „Kuss nach der Trauung“ aufgefordert hätte. Spontan antwortete ich: „Jetzt braucht ihr auch dazu schon einen Pfarrer?“

Noch einmal: ein neues Virus hat weltweit für Irritation gesorgt, die sich auf alle Lebensbereiche auswirkt. Und wehe, wenn wir das ignorieren und „gleich wieder zum Alltag“ zurückkehren wollen! Ob alle Maßnahmen richtig waren steht auf einem anderen Blatt, aber aus der Distanz und auch im Nachhinein ist urteilen immer leicht. Aufgabe von mir und damit auch Aufgabe von Verantwortungsträgern in der Kirche ist – und das ist Schwerarbeit – unter Abwägung aller Daten und Fakten, die eben zu einem gewissen Zeitpunkt zur Verfügung stehen und mit dem Bedenken all dessen vor Gott [im Gebet und im gemeinsamen Überlegen] Entscheidungen zu treffen. Die werden zwar auch verlangt, mitunter aber werden sie bis aufs Äußerste bekämpft, vor allem wenn die Maßnahmen nicht jenen gleichen, die ich gern hätte. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass es wohl ein Sport ist auf der einen Satz nach Regelungen zu rufen und zugleich auf der anderen Seite, wenn diese erlassen sind, sofort nach Möglichkeiten sich umzuschauen, wie diese umgangen werden könnten. Darüber hinaus ist es mitunter auch auszuhalten – keine Frage: auch ich tue mir damit schwer – nicht „everybodys darling“ zu sein und auch zu Entscheidungen zu stehen, die alles andere als ideal sind. Erst recht „pikant“ wird es, wenn versucht wird, die Verantwortung abzuschieben: „Ich kann nicht garantieren, dass es zu einem Tumult kommt, wenn sich die Leute nicht an die Abstandsregeln halten.“ Das „Sahnehäubchen“ ist dann, dass die Versuchung naheliegt, all das gleich mit Einschränkungen der persönlichen Freiheit zu begründen, als ob diese nicht ohnedies dadurch schon eingeschränkt sei, dass es eben auch eine/n Nächste/n gibt …

Vom Ursprung her betrachtet markiert eine „Katastrophe“ einen Wendepunkt [κατά „herab-“, „nieder-“; στρέφειν stréphein „wenden“]. Vielleicht vermag eine katastrophale Ordnung was die Feier von Gottesdiensten anlangt auch, uns neu auf deren Wesen zurück zu werfen, damit nicht nur „Pflichten“ erfüllt werden, sondern die Beziehung zu Gott gestärkt wird …?!