Wage zu träumen IX

Unaufgeregt mit dem Glauben umgehen

Durch verschiedene Ereignisse in den letzten Wochen und Monaten ist mir dieser Gedanke gekommen beim Nachdenken über das der Corona-Krise Hinterherkommende. Die Debatte rund um die „Systemrelevanz“ der Kirche ist ebenso entbrannt wie die vielfach geäußerte Kritik, dass sich die Kirche abgemeldet hätte in der Krise … Jüngst in den Entscheidung des österreichischen Parlaments zum „Ethikunterricht“ als alternativem Pflichtfach für die SchülerInnen der Sekundarstufe 2 oder auch rund um das „Gebetsfrühstück“ im Parlament[1] flammte ein meines Erachtens alles andere als „aufgeklärtes“ Umgehen mit dem Phänomen Religion und damit der transzendentalen Dimension des Menschen auf, mitunter von Personen, die für sich ein solches in Anspruch nehmen. Auch in der Debatte rund um den Entscheid des Verfassungsgerichtshofes zur „Beihilfe zum Suizid“ kamen mitunter tiefsitzende Vorbehalte gegen „Religion“ und „Kirche/n“ an die Oberfläche.

Angesichts solcher Auseinandersetzungen – ich verhehle nicht zu sagen, dass diese in Hinkunft öfter auftreten werden – und die Argumente, die mitunter hierfür aus der Kirchengeschichte gebracht werden[2], wär eine weniger ideologische Auseinandersetzung und ein sachlicher Diskurs, also ein erwachsenes Umgehen miteinander sinnvoll und wohl auch für das Miteinander in der Gesellschaft erstrebenswert. Vieles nämlich an Argumenten, die beigebracht werden, mögen zwar für vergangene Jahre bzw. Jahrzehnte Geltung haben, aber da die Auseinandersetzung auch mit der Religion aus der letzten Zeit fehlt, werden da mitunter Platitüden und Allgemeinplätze wiederholt, die in einer redlichen Debatte mit anderen Sichtweisen ergänzt werden könnten und müssten[3].

Dass in Österreich rund 80% der Bevölkerung einer staatlich anerkannten Religionsgesellschaft angehören, und unter denen, die „ausgetreten“ sind bei weitem nicht nur a-, antireligiöse oder atheistische Menschen leben, bedeutet eben auch, dass Religion weit mehr Menschen anrührt als durch oft schrille Wortmeldungen anderer glaubhaft gemacht werden will. Freilich: die Geschichte des Miteinanders von Kirche/n und Gesellschaft ist in Österreich eben auch von Phänomenen geprägt, die eingebracht werden, aber eigentlich im Heute nicht zutreffen. Daher: gehen wir doch miteinander unbefangen um – leben wir füreinander und versuchen wir doch, aus unterschiedlichen Blickwinkeln für die Menschen hier und heute zu leben: das gemeinsame Ziel verbindet weit mehr als die An-Wege zur Umsetzung dorthin.


[1] Ein Aspekt, der bei der medialen Debatte fast nicht berücksichtigt wurde: dass gläubige Parlamentarier sich – überparteilich – versammeln ist „nichts Neues“. Das gibt es in unterschiedlichen Formen seit den 80iger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Coronabedingt wurde das mittlerweile zum sog. „Gebetsfrühstück“ mutierte jährliche Treffen im Internet übertragen. Freilich: die Übertragung im Netz und damit auch in verschiedenen Radiostationen schuf der „üblichen Veranstaltung“ einen ganz anderen Rahmen; der Grund für die Einladung vieler christlicher Konfessionen bzw. deren Vertreter und der jüdischen Kultusgemeinde, nicht aber der Moslems konnte nicht entkräftet werden [denn: wenn es derzeit keinen Moslem gibt unter den TeilnehmerInnen am ‚Gebetsfrühstück‘ frage ich mich, ob es wohl serbisch-orthodoxe oder griechisch-orthodoxe gegeben hat …; auch das Argument der „adventlichen Feier“ zählt nur bedingt, da zwar die Juden auf die Ankunft des Messias warten, aber der Advent durch und durch christlich geprägt ist, das Chanukka-Fest der Juden in diesen Tagen wurde aber nicht als ‚Grund‘ angeführt – jedenfalls soweit ich die Berichterstattung überblicke.

[2] Vgl. beispielsweise die Kolumne „Pro & Kontra“ der Kleinen Zeitung vom 13.12.2020 (S. 8-9);
vgl. auch Niko Alm in der „Wiener Zeitung“ vom 8.12. (https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2084740-Ethik-rein-Religion-raus.html)

[3] So etwa wird weitestgehend all das vergessen, was Kirchen und Religionsgesellschaften in die Gesellschaft einbringen. In der Debatte wird etwa auch weitestgehend vergessen bzw. ist nicht im Blick, dass alle ethischen und auch philosophischen Fragestellungen immer (!) auch – so wie religiöse – auf Grundlagen fußen, die offengelegt werden müssen, was im Bereich der Religion und damit auch des Religionsunterrichts klar ist; im Unterschied zu Religionen wird dies in üblicher Weise „objektiv“ benannten Fragestellungen bei Ethik und Philosophie unter dem Deckmantel der Aufklärung vergessen. An dieser Stelle sei an das bekannte Diktum erinnert, das Ernst-Wolfgang Böckenförde im Blick auf den modernen Staat geprägt hat: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“; dies kann auch auf diese Auseinandersetzung analog übertragen werden. – Hier soll das von mir Gesagte mit diesen beiden Argumenten belegt werden; weitere könnten in bewussterem Nachdenken sicher gefunden werden.