Wage zu träumen XI

Gewohntes ist nicht mehr möglich

Diese Erfahrung dürften wohl viele in den letzten Wochen und Monaten nicht nur in der Arbeit, sondern wohl auch in vielen anderen Lebensbereichen gemacht haben. Wenn ich das so schreibe, dann ist dies in mehrerlei Hinsicht zu sehen: Nicht nur, dass vieles durch die Lockdowns einfach nicht möglich war usw., sondern auch dass so manche in den meist „systemrelevant“ bezeichneten Berufen mehr als genug zu tun hatten und mittlerweile schon geraume Zeit „über Gebühr“ belastet sind. Beiden Aspekten gleich ist die Erfahrung: „Gewohntes ist nicht mehr möglich“.

Dies unter den „anderen Blickwinkel“ anzusehen bedeutet dann: in vielem galt und gilt es, die tragende Mitte bzw. das Fundament des Daseins zu entdecken; üblicherweise wird dies dann als „zurück zum Wesentlichen“ benannt. Und tatsächlich kann gesagt werden: diese Zentrierung auf wirklich tragfähige Grund-Lagen unseres Daseins und damit auch unseres Glaubens waren – und sind (?) – viele von uns nicht gewohnt, zu „alltäglich“ war und zu „normal“ lief das Leben, der gewohnte „Trott“ mit all den Annehmlichkeiten in unseren Breiten und auch die vielen üblichen Abläufe der Tagesgestaltung haben es praktisch nicht zugelassen, zu dem, was wirklich trägt, durchzudringen. So gesehen: mich wundert es nicht, dass sich so manche Zeitgenossen in den Herausforderungen jenseits der Normalität, wie wir sie gewohnt waren, schwertun.

Wenn ich an manche persönliche Erfahrungen im ersten Lockdown zurück denke, kann und muss ich für mich sagen, dass der geregelte Tagesablauf zwischen Gebetszeiten, Arbeitszeiten, Mahlzeiten und Ruhezeiten – auch weil ich die einzelnen Phasen bewusst leben konnte – eine Beruhigung mit sich brachten, wiewohl vieles angestanden ist, das in ganz anderer Weise zu leben war als im üblichen „bischöflichen Alltag“. Ich kann mir vorstellen, dass so manches was ich erlebt habe, ganz anders ist zu den Herausforderungen, die so manche Familien auszuleben und zu gestalten hatten: Hausarbeit, homeschooling und homeoffice in Wohnungen mit ungenügend Platz und Ressourcen zu koordinieren und „auf die Reihe zu bringen“ hat wohl eher dazu geführt, vom „Stressfaktor“ weg durchzustoßen zur Mitte, um nicht auf der Strecke zu bleiben.[1]

Meines Erachtens lohnt sich der Weg allemal, sich zurück zu nehmen, um sich aus „Distanz“ zum eigenen Dasein den „Luxus“ zu leisten nach dem zu fragen, was denn nun unbedingt notwendig und was denn nun im eigenen Leben „nice to have“ ist. Auch hier: viele – zu viele – auf der Welt und auch bei uns können sich diese Frage nicht „leisten“, weil es Spitz auf Knopf steht und ohnedies das Durchkommen nicht garantiert ist. Dennoch: „Was lässt mich wirklich leben?“


[1] So erinnere ich mich an einen Forums-Eintrag irgendwo, dass ich bitte nicht von „Entschleunigung“ sprechen soll, weil ich keine Ahnung davon hätte, wie es derzeit in Familien und deren Wohnungen aussehen würde.