Wage zu träumen XIII

Wir werden sterben müssen[1]

Der Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Schäuble will dem Schutz des Lebens nicht alles unterordnen[2]: seine im ersten Lockdown geäußerten Worte schlugen wie eine „Bombe“ ein habe ich mir „sagen“ lassen. Dass der Mensch sterben müsse, weil er eben hier in dieser Welt ein endliches Leben hat, sei beinahe eine „Neuigkeit“ gewesen, hat man mir gesagt. Deutlich wurde damit, dass es mit dem Ernstnehmen der Wirklichkeit des Todes als Teil unseres Lebens alles andere als gut bestellt ist.

Auch Sterbehilfe, die in den letzten Tagen auch aufgrund des Erkenntnisses des österreichischen Verfassungsgerichtshofes wieder debattiert wird, ist eigentlich ein sich um die Fragen rund um das Sterben und das Leiden herumdrücken[3]. Es soll möglichst aus unserem Blickfeld verschwinden. Wir wollen uns dieser Realität unseres irdischen Daseins nicht stellen. Hatte der Mensch früher eine Lebenserwartung von 60 Jahren plus das Ewige Leben, so sind es heute 80 und damit aus. So ähnlich hat es der österreichische Theologe Paul M. Zulehner einmal formuliert und dabei eine dem heutigen Menschen beinahe innewohnende Sehnsucht der „Vertröstung auf das Diesseits“ attestiert[4]: alles soll, ja „muss“ hier erlebt und erfahren und in die Zeit „hinein gepresst“ werden, die mir – voraussichtlich – zur Verfügung steht.

Wie wohl doch da unser Glaube tut. Er geht von einigen Grundannahmen aus. Mein Leben habe ich nicht aus mir selbst: es ist mir geschenkt, weil ich eben auch nicht aus mir selbst bin[5]. Mein Leben ist daher ein auf Dialog hin angelegtes[6]; so sehr ich auch selbstständig und damit mit einer Würde von Anfang bis zum Ende ausgestattet bin, so sehr bin ich auch eingebettet ins Miteinander, eben ein soziales Wesen. Meine persönliche Freiheit und Selbstbestimmung sind daher eingeborgen in die meiner Nächsten und werden durch diese freilich auch begrenzt. So erfahre ich als ein wesentliches Moment des Menschseins eben auch die Begrenztheit und damit Endlichkeit. Der Tod ist Teil des Lebens. Dies ist zu erleben und nicht nur zu erleiden, wenn ich die Grundbestimmung des Dialoges – mein Leben ist letztlich eingeborgen in der Ewigkeit Gottes – ernstnehme. Freilich: auch in dieser grundlegenden Sicht des Menschseins bleibt die Frage nach dem Grund des „Leids“ eine unbeantwortete. Diese ist aber eine in die Vergangenheit gerichtete; könnte nicht ein Ausweg gefunden werden, wenn dieselbe Frage als eine des „Wozu?“ gestellt wird und damit den Dialog, die Zuneigung, die Liebe als Momentum gerade in herausfordernden Zeiten des Leides und des Abschiednehmens als „zu mir gehörig“ interpretiert wird?

Ja: die Pandemie fordert uns heraus in unserem Umgehen mit uns selber und damit auch der Tatsache des endlichen und alles andere als hier vollkommenen Lebens umgehen zu lernen, dies ins Wort zu fassen und dieser Realität der Begrenztheit/en nicht auszuweichen. Es lohnt sich.


[1] Präsident des deutschen Bundestages Wolfgang Schäuble Ende April 2020, vgl. u.a. https://www.zeit.de/kultur/2020-04/umgang-coronavirus-wolfgang-schaeuble-diskussionskultur

[2] Seine Aussage tätigte er in einem Interview: https://www.tagesspiegel.de/politik/bundestagspraesident-zur-corona-krise-schaeuble-will-dem-schutz-des-lebens-nicht-alles-unterordnen/25770466.html

[3] vgl. Benno Elbs: https://www.kathpress.at/goto/meldung/1966777/elbs-suizid-urteil-wie-ein-schlag-ins-gesicht-der-menschlichkeit

[4] Vgl. u.a. Paul Zulehner „Gedanken zum Tag“ 18.4.2015 [https://religion.orf.at/v3/radio/stories/2704983/]

[5] In der erneut aufgeflammte Debatte rund um das „Selbstbestimmungsrecht“ angesichts des Suizids und der ab 2022 in Österreich aufgrund des Erkenntnisses des Verfassungerichtshofes neu zu fassenden Strafklausel der „Beihilfe zum Selbstmord“ wird meines Erachtens genau dieses Argument vergessen, da ich ja nicht einmal über mein Sein bzw. meinen „Eintritt“ in diese Welt selbst bestimmen kann …

[6] In der Sprache des Glaubens ist dann meist von „Berufung“ die Rede: Berufung zum Menschsein, zum Christsein und zum Zeuge sein (Josef Maureder).