Viel wird zur „Kirchenentwicklung“ gesagt. Auch in unserer Diözese ist befinden wir uns in dieser Spur des Evangeliums. – In loser Folge weise ich hier auf verschiedene Wortmeldungen von mir – ausschnittsweise – hinw, um mir und uns die Fragestellungen in Erinnerung zu rufen, um die es dabei – umfassend gedacht – geht.
Wir sind als Kirche und Gläubige in dieser Welt mit diesen Herausforderungen unterwegs …
Heute und hier nach der Lektüre der ersten 4 Teile ein neuer Gedankengang, der das dort Gesagte vertiefen möchte.
Als ich in den vergangenen Tagen die großen Linien der Gedanken auf der sogenannten „Pfarrerwoche“ zu Beginn meiner Amtszeit als Bischof 2015 wieder gelesen habe, ist mir deutlich geworden, dass viele Gedanken daraus auch heute gelten. Gerade angesichts neuester Herausforderungen, denen sich unsere Kirche derzeit zu stellen hat – es sei auf die neu aufgeflammte Debatte rund um den „Missbrauchsskandal“ hingewiesen, die sich nunmehr auch auf „spirituellen Missbrauch“ sowie Übergriffe auf Frauen und Ordensleute ausgedehnt hat, oder aber auch auf die mit Verve und dem Zeitgeist entsprechender (zu) einfache Schwarz-Weiß-Malerei veröffentlichter Meinung zu Finanzfragen und anderen Vorgängen in unserer Nachbardiözese Gurk – gilt es, den „Anker der Hoffnung“[1] vertieft auszuwerfen. [Nebenbei: auf einer meiner früheren Segeltörns ist mir bewusst geworden, dass „verankert“ sein alles andere bedeutet als „fix und unbeweglich“ festgemacht zu sein: Wind und Wellen können das verankerte Schiff durchaus in einem gewissen [Um]Kreis bewegen].
Und – das sei ganz besonders erwähnt: es geht um viele Fragen, die sich uns stellen und keineswegs „nur“ um die immer wieder, besonders in unseren Breiten vorgebrachten sogenannten „heißen Eisen“. Ich weiß: sie irritieren – und das gewaltig, auch weil sie keineswegs von allen und allezeit authentisch gelebt werden. Sie irritieren aber auch deswegen, weil sie – wie vieles andere in der Kirche – deutlich machen, dass es eben nicht um eine Botschaft geht bzw. gehen kann und darf, die wir uns „zurecht richten“. – Zugleich ergänze ich hier sofort, dass dies aus meiner Sicht keineswegs heißt, sich diesen Fragen nicht zu stellen. Was ich aber erbitte und in Erinnerung rufe: selbst wenn alle diese „Eisen“ geschmiedet wären, Kirche und damit die Frage jedes und jeder von uns, was denn unsere spezifische Berufung, was denn unser je spezifische Weg in der Nachfolge unseres Herrn ist, würde uns nicht erspart bleiben. Denn: die Form und Gestalt von Kirche, die viele von uns in Erinnerung haben, weil sie Wegbegleiter war und segensreich uns in die Spuren Jesu geführt hat, ist – nehmen wir den Heiligen Geist wirklich ernst – keineswegs die eine und ewige, wie in manchen Debattenbeiträge vorgegaukelt wird. Dies wird mir nicht nur durch mein Eintauchen in kirchliche Situationen der Weltkirche immer und immer wieder deutlich, dies ist auch – und ein kleiner Blick in die Geschichte reicht bei uns durchaus – vor Ort unserer Kirche von Graz-Seckau eingestiftet: Wenn ich etwa auf die mittlerweile 800 Jahre andauernde Geschichte unserer Diözese schaue, wird allein schon durch die unterschiedliche territoriale Ausdehnung der vormals „Seckau“ genannten Diözese deutlich, dass sich so manches verändert hat. Fragen von damals sind eben daher auch nicht Fragen von heute – und: Wenn das Wesentlich erhalten bleiben soll – und das bedeutet eben etwa die Botschaft des Evangeliums – dann braucht es Änderungen. Und: das, was kommt, ist nicht die Wiederholung des Vergangenen, ist nicht die „Wiederauferstehung“ einer Form von Kirche, die uns persönlich irgendwann einmal lieb war und die sicher auch viel Segen gebracht hat.
Mitunter scheint es mir so, dass die üblicherweise als „progressiv“ und (!) die üblicherweise als „traditionell“ apostrophierten kirchlichen Meinungsträger genau darin demselben Irrtum verfallen und „vergangene Zeiten“ festhalten wollen. Mehr noch: ein innerkirchlicher Kampf wird da mitunter ausgefochten, um nur ja die eigene Sicht als die einzig wahre und rechte darzustellen und andere, die sich auch redlich auf dem Weg der Nachfolge verstehen, in schiefes Licht zu tauchen oder – was noch schlimmer ist – abfällig zu behandeln, so als ob sie nicht „zu mir“ gehörten, weniger fromm seien oder gar auf dem Weg ins Verderben stünden [und damit erinnere ich an die großartigen Stellen beim Apostel Paulus im 1. Brief an die Gemeinde in Korinth wie auch im Brief an die Römer, wo Kirche als „ein Leib“ gezeichnet wird, der aus unterschiedlichen Gliedern mit unterschiedlichen Verantwortungen und damit auch Aufgaben gebildet ist, vgl. 1Kor 12,26: „Wenn [..] ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit“]. Die Bereitschaft, sich demütig unter das Wort Gottes zu stellen und damit der Glaube, dass ER uns führt, ist mehr denn je von jedem gefordert. „Alles andere wird dazugegeben“ (vgl. Mt 6,33). Ein solches Denken entbindet uns nicht davon, zu suchen, zu fragen, immer wieder neu aufzubrechen usw., verleitet aber nicht dazu, zu meinen: „Wenn sich einmal dieses und jenes so wie ich es mir vorstelle geändert hätte, wäre alles wieder in Ordnung …“. Eine solche sich selbst ehrlich wahrnehmende Haltung ist es, die innerkirchlich nottut – alles andere, und vieles was derzeit „abgeht“ lässt mich eher das wahrnehmen, verstärkt in mir das „ungute Gefühl“, dass es jenen, die solche Argumente nicht müde werden vorzubringen und als „die Rettung“ zu titulieren, um Macht und ihren persönlichen Machterhalt geht.
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[1] Eines der mir sehr ans Herz gewachsenen Tagesgebete im römischen Messbuch wird am 21. Sonntag im Jahreskreis gebetet: „Gott, unser Herr, du verbindest alle, die an dich glauben, zum gemeinsamen Streben. Gib, dass wir lieben, was du befiehlst, und ersehnen, was du uns verheißen hast, damit in der Unbeständigkeit dieses Lebens unsere Herzen dort verankert seien, wo die wahren Freuden sind.“