Wage zu träumen XXV

Erscheinung des Herrn

In den letzten Tagen, in der Weihnachtsoktav, wurde an zwei Tagen verteilt (29. bzw. 30.12.) jenes Evangelium verkündet, das die „Darstellung des Herren“ im Tempel beschreibt. An dieses Ereignis erinnern wir uns bekanntlich jährlich am 2. Februar (vgl. Lk 2,22-40). In der Verkündigung des Evangeliums wurde mir heuer ein Moment besonders bewusst: Mitten im Getriebe des Tempels von Jerusalem wurde der Heiland der Welt von zwei Personen, die im „Alten Bund“ lebend die Ankunft des Messias erwarteten, erkannt.

Wie schwer wir uns mitunter im Heute unsere Tage doch tun, IHN, den Herrn der Welt mitten im Getriebe unseres Alltags zu erkennen! Gerade auf dem Hintergrund der Pandemie, die uns nach wie vor in Band hält, muss diese kritische Rückfrage an unser Gottesverständnis und unser Gottesbild erlaubt sein. Wie sehr doch viele von uns Gott und damit auch seinen Sohn Jesus Christus in eine Art falsch verstandenen „Lockdown“ gleichsam verbannen wollen: Begegnung mit Gott wird auf Kirchenräume reduziert, ging ihnen auf die Feier der Sakramente und unter diesen auf die Eucharistie, schließlich auf dem Kommunionsempfang. Andere Formen der „Kommunion“ mit dem Herren dessen Geburt als Mensch unter Menschen wir in diesen Tagen feiern, werden zumal heute leider oft ausgeblendet. Schon zu Beginn der Christenheit war von der „Kommunion mit dem Wort Gottes“ die Rede; auf alle Fälle würde ich angesichts der Gerichtsrede in Mt 25 die „Kommunion mit dem Bruder“, die „Kommunion mit der Schwester“ notwendigerweise hinzufügen[1]. Christus- und damit Gottes-Begegnung ist eben nicht auf Kirchenräume zu reduzieren, so sehr sich dies in unserem Denken – vielleicht schon seit Jahrhunderten – eingebrannt hat. Reale Begegnung mit dem Auferstandenen ist keineswegs auf die Feier der Liturgie zu beschränken; das berühmte Wort „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20) spricht ja auch nicht von der Versammlung zum Gottesdienst. So sehr – um Missverständnisse von vornherein auszuschließen – wir, gerade als Katholiken, die Realpräsenz Jesu Christi in der Eucharistie schätzen und verehren, so notwendig ist es meines Erachtens Kirche nicht auf den Feierraum zu beschränken.

Gerade im Heute unserer modernen und sich aufgeklärt nennenden Gesellschaft ist es meines Erachtens fundamental notwendig, das Ankommen Gottes mitten in unserer Welt den vielleicht kleinen – womöglich dauernd dort auch größeren – Ereignissen des Alltags in unserer Welt aufzudecken und wahrzunehmen. Ja: der Herr – und dieses Gedächtnis feiern wir heute – ist mitten unter uns Menschen erschienen! Das gilt nicht nur für die Krippe in Bethlehem, sondern ist aufgrund des Lebensschicksals dieses Jesus von Nazareth – also auch seines Leidens, Sterbens und Auferstehens – hinein in die Zeit und damit in unsere Welt heute „verlängert“. Daraus folgt für mich: wo erkenne ich, wo erkennen wir IHN, den Lebendigen, in den Situationen, die uns begegnen? Also: in denen, die unter der Pandemie leiden; in denen, die arbeitslos sind, genauso wie in jenen, die sich als Arbeitgeber ihren Dienstnehmern gegenüber verpflichtet wissen; in denen, die sich in Pflege und im Gesundheitsbereich täglich den Heraus- wie auch den teilweise über Forderungen stellen; in denen, die sich auflehnen gegen so manche Verordnung, die sie derzeit in ihrer Freiheit beeinträchtigt; in denen, die zu Hause Familie, Beruf und Bildung ihrer Kinder schon seit geraumer Zeit unter einen Hut zu bringen haben; … In all diesen Situationen gilt es, nehmen wir Seine Menschwerdung wirklich ernst, ihn zu entdecken. Wenn wir so versuchen, das Heute zu deuten, können keine auch noch so eng gesetzten Grenzen uns an der Begegnung mit dem lebendigen Gott hindern.


[1] Vgl. hierzu erläuternd auch den Artikel von Klaus Hemmerle: Die Krippe deines Nächsten, in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen 47 (1992) 51-52 (https://klaus-hemmerle.de/de/werk/die-krippe-deines-naechsten.html).

Wage zu träumen XXII

Homilie in der Messfeier am 3.1.2021

  1. Wieviel Angst sich doch allenthalben um uns ausbreitet: Christen sind berufen Hoffnung in diese Welt zu bringen.
    Wieviel an Fragen und Unsicherheiten sich doch jedem Menschen in den Lebensweg stellen: Christen sind herausgefordert, aus festem Glauben heraus Gott in der Welt anzusagen, mehr noch: sie sind dazu in die Welt gesendet, Christus im Heute zur Welt zu bringen. In den Sakramenten der Kirche wird das, was im Brief an die Gemeinde in Ephesus mit dem Verständnis der Hoffnung umschrieben wird, deutlich und gleichsam handgreiflich.
  2. In diesen Wochen wird uns die „zweite Seite“ dieser Medaille zu leben abverlangt – und auch der gilt es sich zu stellen – zwar ist dies nicht nur in diesen Tagen der Fall, sondern eigentlich immer, aber jetzt eben klar und deutlich: Bringen wir IHN zur Welt, indem wir Hoffnung und damit Orientierung, Zuversicht und damit Wegmarkierungen geben, weil wir um IHN wissen oder sind wir nur auf uns fixiert? – Erkennen wir den, der Fleisch geworden ist, als einen von uns und unter uns oder meinen wir – trotz allem an Unberechenbaren, das uns in den letzten Monaten weltweit als Menschheit abverlangt wurde, dass wir allein die Herren der Geschichte seien?

3.            Ich möchte in dieser Weihnachtszeit erneut dazu einladen, das bloße um-sich-selbst-Kreisen hintan zu stellen, weil meine Selbstbestimmung und damit meine Freiheit dort endet, wo die Freiheit meiner Nächsten beginnt. Ich lebe nicht aus mir selbst und erliege daher auch einem fatalen Irrtum zu meinen, dass nur das zähle, was ich mir so ausmale. So bedeutsam und einmalig ich auch bin: mein Leben hat eine Orientierung – und die ist für uns als Christen der, vor dem wir als Kind von Betlehem in diesen Tagen das Knie beugen. ER ist unser Leben – und damit das Leben der Welt! Nehmen wir IHN auf in seinen unterschiedlichsten Gesichtern, in denen er sich uns in diesen Tagen darbietet!


Die Schriflesungen für den 2. Sonntag nach Weihnachten – Lesejahr B:
1. Lesung: Sir 24,1–2.8–12;
2. Lesung: Eph 1,3–6.15–18;
Evangelium: Joh 1,1–5.9–14