instruiert werden XII

12. Strukturen, die dem Leben dienen (sollen)

„Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient. Die Reform der Strukturen, die für die pastorale Neuausrichtung erforderlich ist, kann nur in diesem Sinn verstanden werden: dafür zu sorgen, dass sie alle missionarischer werden, dass die gewöhnliche Seelsorge in all ihren Bereichen expansiver und offener ist, dass sie die in der Seelsorge Tätigen in eine ständige Haltung des „Aufbruchs“ versetzt und so die positive Antwort all derer begünstigt, denen Jesus seine Freundschaft anbietet. Wie Johannes Paul II. zu den Bischöfen Ozeaniens sagte, muss » jede Erneuerung in der Kirche […] auf die Mission abzielen, um nicht einer Art kirchlicher Introversion zu verfallen.«“[1] Und: das Leben ist die Sendung hinein in die Welt, ist Mission.

In der Organisationsentwicklung heißt’s „form follows function“ – als ich diese Zeilen aus der apostolischen „Ermahnung“ „Evangelii gaudium“ gelesen habe, auf die das missionarische „Grundmuster“ der Instruktion immer wieder verweist, habe ich es wohl doppelt und dreifach unterstrichen. Dass wir im Leben von Pfarre und Kirche – und damit auch die Instruktion – Gefahr laufen, etwas nachgereiht Großartiges unserer Kirche, sie nämlich als „Institution“ zu verstehen und dieser Struktur alles andere unterzuordnen, ist aber auch eine Erfahrung. Ob dann nicht auch die Strukturmomente, die in der Instruktion erinnert werden, unter diesem Aspekt gesehen, unter diesem Blickwinkel – und damit eben zur Umkehr aufgerufen – werden müssten, möchte ich zumindest zur Diskussion stellen. Mitunter hege ich den Verdacht, dass wir uns halt – auch (!) ob unserer Tradition und der langen Geschichte von Kirche – in unseren Breiten lieber bei den Strukturen und den damit sich stellenden Fragen der inneren Struktur aufhalten statt diese im Dienst der gemeinsamen Sendung zu sehen. Unter dem Motto: „Wenn das Organigramm einmal gut ist, dann können wir uns auch der Sendung zuwenden …“ – Wenn ich das so schreibe, gibt’s gleich mal eine mir selbst verordnete Gewissenserforschung – auch unter dem Aspekt, dass man Inhalt und Form ja gerade in unserer katholischen Kirche nicht auseinanderdividieren kann. Aber auch unter dem Aspekt, ja nicht der Gefahr zu unterliegen, weil dem so ist, nichts anzupacken …

Da Kirche in der Steiermark sicher vor der Errichtung der Diözese 1218, die im übrigen in der Geschichte so manche Veränderungen in ihrer Ausdehnung erfahren hat, gelebt wurde und auch unter anderen Umständen als in der Geordnetheit mit 388 Pfarren muss hier auch erwähnt werden. – Wenn es stimmt, was ich leider nach wie vor nicht nachgeprüft habe, dann sind die Jahre von 1950 – 2000 jene 50 Jahre, in denen in der Steiermark am meisten Pfarren neu gegründet wurden, unterteilt man die 800 Jahre in „50iger-Pakete“. Was ich damit sagen will? So sehr Pfarren „keine hinfällige Struktur“ sind[2] so sehr muss klar sein, dass nicht „Pfarre“ der einzige Erfahrungsraum von Kirche ist, sondern Leben „fasst“, so wie ein Glas eben ein Getränk einfasst. Strukturen zu „dogmatisieren“ ist ebenso falsch wie sie zu negieren. In eine dieser Fallen an den Wegrändern tappen wir immer wieder … Die Frage zu stellen: „Was macht [kirchliches] Leben aus? Wo wird die Sendung des Evangeliums gelebt?“ ist keine nebensächliche, genauso schwierig ist es aber, jene „heiligen Kühe auszumachen, die keine Milch mehr geben und daher geschlachtet werden müssen“, zumal in unserer professionalisierten Situation.[3]

Der wahrgenommene „Mangel“ an zum sakramentalen Dienst Geweihten – zumindest im Vergleich von vor einigen Jahrzehnten –[4] hat manches ans Tageslicht gebracht, das „Kirchen-Entwicklung“ im positivsten Sinn angestoßen hat. Die Lebens-Erfahrung lehrt ja auch, dass nicht bloß die Theorie jemanden davon überzeugt neue Wege zu gehen, sondern mitunter auch Not. Die jüngste COVID-Krise hat dies ja auch deutlich gemacht: wie sehr doch Solidarität geübt wurde während des lockdowns – und wie viel davon unmittelbar danach sofort wieder eingebrochen scheint. Was also führt dazu, dass man sich wirklich bekehrt – und das zur Lebenseinstellung wird? Sind wir wirklich jetzt schon (?!), erst (?!) 60 Jahre nach dem Konzilsbeginn soweit, das Zusammenspiel im Volk Gottes zwischen denen, die einen geweihten Dienst in ihm ausüben und jenen, die aufgrund von Taufe und Firmung den Sendungsauftrag mit ihren Charismen leben, gut und neu austariert zu leben? Die Reaktionen auf die Instruktion im Blick der ganzen Welt machen „nur“ deutlich, wie unterschiedlich wir doch unterwegs sind und welch unterschiedliche Geschwindigkeiten wir dabei entwickelt haben.

Daher: „Folglich liegt es auf der Hand, wie notwendig es ist, sowohl eine Konzeption der Pfarrei, die auf sich selbstbezogen ist, als auch eine „Klerikalisierung der Pastoral“ zu überwinden. Die Tatsache ernst zu nehmen, dass dem Volk Gottes «die Würde und die Freiheit der Kinder Gottes eignet, in deren Herzen der Heilige Geist wie in einem Tempel wohnt», drängt dazu, Vorgehensweisen und Modelle zu fördern, durch die alle Getauften kraft der Gabe des Heiligen Geistes und der empfangenen Charismen sich aktiv, dem Stil und der Weise einer organischen Gemeinschaft entsprechend, in die Evangelisierung mit den anderen Pfarrgemeinden unter Berücksichtigung der Pastoral der Diözese einbringen. Da die Kirche nicht nur Hierarchie, sondern Volk Gottes ist, ist die gesamte Gemeinschaft für ihre Sendung verantwortlich. Es wird die Aufgabe der Hirten sein, diese Dynamik zu erhalten, damit alle Getauften entdecken, dass sie aktive Protagonisten der Evangelisierung sind.“[5] Auch wenn – und so manche Kritik an der Instruktion macht dies deutlich – in den darauffolgenden Normen so manches davon nicht deutlich zum Vorschein kommt: hier wird für meine Begriffe „klassisch“ der Dienst der Hirten sowie aller in der Seelsorge Stehenden am und im Leben der christlichen Gemeinschaft beschrieben, die wir im Zukunftsbild unserer Diözese in die Worte gefasst haben: „Die Kirche verändert sich und damit ändern sich die Anforderungen an unsere Berufungen. Das führt auch zu veränderten Rollenbildern und Aufgaben der Hauptamtlichen in der Pastoral. Alle hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben Verantwortung und Entscheidungsspielraum frei und unterstützen die Menschen bei der Gestaltung von Kirche vor Ort. Sie sind geistliche Menschen und theologisch kompetent. Sie geben Raum für pastorale Initiativen, ermöglichen und unterstützen sie. Im Einzelfall werden diese von ihnen initiiert. Sie halten die Kirche vor Ort in der Spur des Evangeliums und der Weltkirche. In der Vielzahl der Berufungen und in der Vielfalt seiner seelsorglichen Tätigkeiten ist es die Aufgabe des Priesters, sakramental wirksam im Namen Jesu zu handeln. Im Dienst des Diakons wird sichtbar und greifbar, dass Jesus nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen. Darüber hinaus üben die unterschiedlichen Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger (Priester, Diakone, Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten) spezifische Rollen aus, um Prozesse in Gang zu setzen und zu begleiten, zum Beispiel als Seelsorgerinnen und Seelsorger, geistliche Begleiterinnen und Begleiter, theologische Fachberaterinnen und berater, Projektentwicklerinnen und entwickler, Pionierinnen und Pioniere, Konfliktmoderatorinnen und -moderatoren, Ehrenamtsbegleiterinnen und begleiter, Gründerinnen und Gründer. Eine spezifische Unterstützungsrolle ist die Aufgabe der formellen Leitung, zum Beispiel eines Seelsorgeraumes.“[6]

[1] Franziskus, Evangelii gaudium 27.

[2] ebd., 28.

[3] Wie schwer dies uns fällt wird u.a. dort deutlich, wo das Zukunftsbild und die „strategischen Ziele“, die als Leitplanken uns in das 9. Jahrhundert unserer Diözese begleiten, eben auch diesen Aspekt konsequenter Weise betont: wenn ich diesen und nicht jenen Weg gehe, heißt dies automatisch auch so manches zurück zu lassen. Sind wir uns dessen bewusst? Und: treffen wir dann entsprechende Entscheidungen, die noch dazu dann ja nicht bedeuten, dass das Vorhergehende „schlecht“ war, sondern lediglich, dass es heute – vereinfacht und spirituell gesagt – einen „anderen Willen Gottes“ gibt.

[4] „Mangel“ – und darauf muss einfach hingewiesen werden – ist ein relativer Begriff, der sich auf eine Maßzahl bezieht. Vom „Priestermangel“ zu sprechen bedeutet also, von einer gewissen Zahl an Amtsträgern ausgeht, die – vorgeblich (?) – „notwendig“ sind für kirchliches Leben. Sprechen wir über die Kriterien, die uns einen „Mangel“ feststellen lassen? Und: stimmen diese Kriterien – heute? Ganz abgesehen davon, dass viel zu wenig oft Rechenschaft darüber gegeben wird, wieso vom „Mangel“ in dieser oder jenen Beziehung gesprochen wird und auch die Gefahr nahe liegt, in ein- und derselben Debatte zunächst von der Kirche zu sprechen, die in den Seelen erwacht, um R. Guardini in Erinnerung zu rufen, dann aber nur auf Amtsträger fixiert ist, die wir zum Leben der Kirche bräuchten …

[5] Instruktion 38f.

[6] Zukunftsbild der Diözese Graz-Seckau, II/7 [https://www.katholische-kirche-steiermark.at/dl/rKMtJmoJKnMJqx4KJKJmMJOKk/Zukunftsbild_2019_Ansicht.pdf, 5.8.2020] – die dort auffindbare Fassung ist nicht jene Letztfassung, die im Gesamtgefüge des Prozesses unserer Kirchenentwicklung wohl erst veröffentlicht wird.