instruiert werden – VII

7. Pfarre im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche

Wir sind nicht für uns Kirche, sondern gesendet: „Geht hinaus …“ (vgl. Mt 28,20). Papst Franziskus wird nicht müde, dies in Erinnerung zu rufen, vielleicht auch deswegen, weil er meint, dass sich dadurch die innere Architektur dessen, wie Kirche „aufgestellt“ ist, verändert. An mehreren Stellen bringt dies die Instruktion auch zum Ausdruck und erteilt der „Selbstbezogenheit“ eine Absage (u.a. 38): “ Die Tatsache ernst zu nehmen, dass dem Volk Gottes «die Würde und die Freiheit der Kinder Gottes eignet, in deren Herzen der Heilige Geist wie in einem Tempel wohnt», drängt dazu, Vorgehensweisen und Modelle zu fördern, durch die alle Getauften kraft der Gabe des Heiligen Geistes und der empfangenen Charismen sich aktiv, dem Stil und der Weise einer organischen Gemeinschaft entsprechend, in die Evangelisierung mit den anderen Pfarrgemeinden unter Berücksichtigung der Pastoral der Diözese einbringen. Da die Kirche nicht nur Hierarchie, sondern Volk Gottes ist, ist die gesamte Gemeinschaft für ihre Sendung verantwortlich.“ Alle sind demnach Protagonisten der Evangelisierung (39): das, was zum Leben, also zur Sendung notwendig ist, kann – und soll (!) – die Pfarrgemeinde vorschlagen; dies kann – und darf – nicht nur dem Priester in ihr[1] zugeschoben werden, der selbst ja auch Glied – und Diener – des Volkes Gottes ist.

Bedenkens- und nachdenkenswert ist für mich in diesem Zusammenhang ein Mehrfaches:
a. Vielfach werden in der Instruktion inhaltliche Kriterien von „Pfarre“ benannt. Mit diesen ist eigentlich nichts darüber ausgesagt, wie groß diese „Gemeinschaft von Gläubigen“ in deren Anzahl wie auch in der territorialen Ausbreitung sein soll bzw. höchstens sein darf.
Wenn ich an die steirische Situation denke: 388 Pfarren sind’s in der Diözese Graz-Seckau, von unter 100 Einwohnern bis hin zu knapp 30.000. (Kirchen-)Rechtlich sind alle Pfarren dasselbe. Vom Leben und der Sendung her nicht,
* weil in einer Stadt wie etwa Graz die Entfernungen zwischen den einzelnen, die Pfarre ausmachen, andere sind, als in den „Randgegenden“ der Steiermark etwa, die mehr und mehr unter Abwanderung zu leiden haben, ganz abgesehen davon, dass es hierzulande auch die eine oder andere Gebirgs- bzw. Talsituation zwischen einzelnen Pfarren gibt, was direkte Wege unter Umständen erschwert;
* weil die Vielfalt wie Pfarre gelebt wird, enorm ist: im Miteinander der Konfessionen – im Oberen Ennstal gibt es bekanntlich Pfarren, in denen es viele evangelische Christen gibt, in Graz gibt es 3 koptische Kirchen und 4 orthodoxe Gemeinden, ganz zu schweigen von den mit Rom unierten ostkirchlichen Gläubigen;
* weil wir – zumal in den städtischen Regionen – neben der Diversität an Religionsbekenntnissen auch einen großen Teil an Bevölkerung haben, die sich zu keiner Religion bekennt, da und dort diese aber dann doch „in Berührung“ kommen mit kirchlichen Lebensvollzügen – und ganz nebenbei: diese Entwicklung nimmt auch in ländlichen Regionen mehr und mehr Raum ein;
* weil in den territorial umschriebenen Gemeinschaften Menschen mit unterschiedlichen Charismen leben, die eben pfarrlichem Leben ihre „Besonderheiten“ vermitteln: ich denke an unterschiedliche musikalische Fähigkeiten, an Engagements auf dem Gebiet nachhaltigen Lebens, an die unterschiedliche Zahl an Bildungseinrichtungen, an Interessen an caritativem Leben, an den in die Weltkirche hinein gerichteten Blick etc. etc.;
* weil die in der Seelsorge wirkenden Menschen, haupt- wie ehrenamtlich, getauft oder/und auch zum Dienst in und an der Gemeinde geweiht mit unterschiedlichen Mentalitäten, Glaubenserfahrungen, Begabungen ausgestattet sind, die zum Einen ein Segen sind – weil wir uns zu allen gesendet wissen, aber auch zur „Gefahr“ werden können, wenn der Weg, den ich gehe als Seelsorger, zu jenem Weg stilisiert wird, den alle zu gehen hätten und damit die Wirklichkeit de facto aberkannt wird, dass es so viele Wege zu Gott gibt wie es Menschen gibt[1] und diese zu stützen, zu entfalten, voranzubringen der Dienst derer ist, die sich in der Seelsorge engagieren;
* weil es unterschiedlich viele weitere Erfahrungsräume von Kirche in den Pfarren gibt, die – teilweise charismatisch getragen – sich nicht auf die territoriale Begrenztheit festlegen lassen oder aber aufgrund der besonderen („kategorialen“) Situation etwa in Krankenhäusern und Pflegeheimen wie auch im Bereich der Bildung eine ganz andere und vielfach durchaus positive Erfahrung von Kirche geben, die in den Debatten rund um die „Pfarrseelsorge“ oft ausgeblendet werden, ganz zu schweigen vom Engagement der (organisierten) Caritas, die wie so manch andere Einrichtung und so manch anderes Engagement tätiger Nächstenliebe – ich denke als Steirer freilich auch an die Vinzi-Werke und die vielen diözesanweiten wie pfarrlich oder anderswie organisierten Hilfswerke für Menschen rund um den Erdball;
* …
„Pfarre“ ist eben nicht gleich „Pfarre“, weil die Menschen eben unterschiedliche sind. Eine hinterfragenswürdige Tatsache an die Instruktion ist daher: wenn es rechtliche Konsequenzen gibt, dann brauchen diese auch „vollziehbare“ Vorgaben wie etwa Größe etc. Es ist etwas anderes, Pfarrer in einer Pfarre mit 30.000 Einwohnern und 15.000 Katholiken in der Stadt zu sein als in einem kleinen Wallfahrtsort mit 500 Einwohnern, die zum Großteil der katholischen Kirche angehören … Die „Organisation“ der uns als Kirche aufgegebenen Sendung muss situationsgerecht sein – mit (kirchen-)gesetzlichen Vorgaben, die zu sehr einengen wird dies nicht lebbar.

b. Der Blickwinkel, mit dem auf die Instruktion zugegangen werden soll, ist der der „pastoralen Umkehr“: verstehen wir das Leben der Pfarre in dem Sinn, wie es die Instruktion in Erinnerung an die Lehre Papst Franziskus‘ vorstellt? Oder denken wir – salopp formuliert – zunächst, zuallererst an die Art und Weise wie das (interne!) Pfarrleben organisiert wird? Wenn ich es recht sehe, ist davon in der Instruktion nicht die Rede, auch dort nicht, wo dann vom inneren Ordnungsgefüge der Pfarre die Rede ist. Dieses dient nämlich der Evangelisierung.
Und daher sei mir angesichts der aufgebrachten negativen Kritik dem Schreiben gegenüber die Frage erlaubt, was denn an der inneren Struktur, wie sie vorgegeben ist, Hindernis ist für diese Perspektive der Sendung und Mission? Meine Antwortversuche, die ich wohl später noch zu geben versuche, sind auch keineswegs zu Ende gedacht und enthalten sicher auch Anfragen, die gemeinsam in der Kirche bedacht werden müssen.

 

c. Wenn von der gemeinsamen Sendung die Rede ist und den unterschiedlichen Charismen und Berufungen, in denen sie vollzogen werden soll, dann ist die Logik, unter der rechtliche Normen danach zu lesen sind, eben dieser vorrangige gemeinsame Auftrag aller Getauften der evangelisierenden Sendung der Pfarre in den Grunddimensionen kirchlichen Lebens. Dass es hierfür auch eine innere Struktur braucht, ist zu wenig bedacht – oder anders ausgedrückt: „Wenn ich hinausgehen soll und will, dann brauche ich auch die Menschen, die hinausgehen können.“ Wen von von „lebendiger Pfarre“ die Rede ist – vielleicht irre ich mich – dann ist doch meist im Blick der Kirchenbesuch, die Kreise und Gruppen, die sich in einem Pfarrhof oder einem kirchlichen Gebäude treffen etc. Ich selbst muss es mir ja auch immer wieder in Erinnerung rufen, dass „lebendige Pfarre“ eben – auch, vielleicht sogar zunächst (!) – jene meint, die zu Hause beten, jene, die ihre Angehörigen pflegen, jene die ihren Auftrag als christliche Eltern erfüllen wollen, jene, die aus innerem Antrieb heraus in der Politik ihre Taufe zum Wohl der Allgemeinheit mitgestalten wollen, jene die in ihrem beruflichen Alltag so mit den anderen umgehen wollen wie es Jesus von seinen Jüngern verlangt hat etc. – und eben nicht vom Leben im Pfarrheim. Wenn ich das jetzt so geschrieben habe, dann bitte ich darum, mich nicht zu schnell und falsch zu verstehen: auch das Zu- und Miteinander in pfarrlichen Räumen ist wichtig, aber Kirche „lebt“ nicht nur rund um die kirchlichen Gebäude. Ja, ich meine, dass diese heilsame Spannung im Sinn des Titels der Instruktion neu zu finden ist in unseren kirchlichen Erfahrungsräumen vor Ort. Die Organisation all dessen kann nicht das erste sein, wie wohl dies nicht außer acht gelassen darf. Noch einmal: es bedarf der Umkehr und des Perspektivenwechsels – hin zu einem Denken von kirchlichem Leben, das eben nicht mehr in dieser Art fass- und messbar ist wie wir es organisationstheoretisch gern mit Zahlen, Daten, Fakten und Mitgliederlisten wie auch Gottesdienstbesuchern handhabbar hätten.

[1] Wieder einmal sei in Erinnerung gerufen, dass die mit einer „Instruktion“ eigentlich erwartete exakte Sprache zu wünschen übrig lässt: ist hier der „Priester“ gemeint oder der „Pfarrer“?

[2] Benedikt XVI. hat – wenn ich es recht sehe – noch als Präfekt der Glaubenskongregation in einem Interviewbuch so einfach und so einfach auf die Frage des Journalisten geantwortet.