Archiv der Kategorie: Kirchenentwicklung

Keine Methode, sondern Haltung

„Die Bedingung für Kirchenwachstum ist, jeden von allen Menschen mit der ihn befreienden Botschaft Jesu in Kontakt zu bringen. Das erste Qualitätskriterium von Pastoral ist, ob dies gelingt. Nicht, ob das oft gelingt.“ So befreiend formuliert es Jan-Christoph Horn in einem Beitrag, der über Kirchenentwicklung aus systemischer Sicht handelt. Vielleicht ein etwas anderer Zugang … Hier nachzulesen.

Miteinander – füreinander

Das Fest der Dreifaltigkeit, am Sonntag nach Pfingsten gefeiert, ist vielen alles andere als leicht verständlich. Ich selbst habe versucht, bei der heutigen Aushilfe in Graz-St. Elisabeth in Webling nach dem Ende des Einkehrtags im Priesterseminar und meiner Stimmabgabe bei der Wahl des Bundespräsidenten folgendes zu predigen:

„Fast jedes Kapitel im Johannes-Evangelium enthält Passagen, in denen vom innigen Miteinander des Sohnes mit dem Vater die Rede ist; das heutige Evangelium (Joh 16,12-15) bringt  diese Einheit in Verbindung mit dem Geist und weist daher den Weg zu einem Verstehen Gottes als des Einen und doch Dreifaltigen. Aufs Erste ist diese Wirklichkeit nur schwer zu verstehen – und wird daher auch oft ausgeblendet; wenn ich mich richtig erinnere, sprach sogar der berühmte Theologe Karl Rahner davon, dass wohl nicht viel in den theologischen Büchern verändert werden müsste, wenn der Heilige Geist nicht als Person Gottes angesehen werden würde … Die rein begriffliche Durchdringung der Wirklichkeit Gottes als des Dreifaltigen hat auch mich nicht sonderlich bewegt. Mit der Zeit habe ich aber mehr und mehr darüber nachgedacht, was es bedeutet, dass der Mensch die Realität dieses – dreifaltigen – Gottes abbildet, wenn wir von ihm sagen, er sei als Ebenbild Gottes erschaffen. Als ich so zu denken begonnen habe, wurde es für mich immer spannender, dieses Glaubensbekenntnis abzulegen.
Ich erfahre mich zunächst als Individuum. Und das ist gut so. Unaustauschbar bin ich, einmalig, einzigartig. Meine Lebensgeschichte ist in diese Welt eingeschrieben und unwiederbringlich. In derselben Art und Weise und ähnlich mich bestimmend gibt es aber auch noch eine andere Erfahrung: Ich bin auf ein Du verwiesen, auf Beziehung und Liebe hin angelegt. Wer ich bin, erfahre ich deutlich in der Auseinandersetzung mit anderen. Da gibt es andere Meinungen, da gibt es Personen, die anders denken, anders aussehen usw. und die dadurch mein Ich verstärken: ich bin eben Wilhelm Krautwaschl auch deswegen, weil die anderen mich so nennen und als solchen anerkennen. Der Mensch ist also ein Individuum und zugleich Gemeinschaftswesen. Soweit so gut. Aber es gibt noch eine dritte Erfahrungsebene: die Einheit zwischen ich und Du, zwischen Individualität und Gesellschaftswesen. Und auch die wird vielfach erfahren und ist zugleich etwas ganz Anderes als das, was wir täglich an Kompromissen oder „über den Tisch ziehen des einen vom anderen“ erleben. Alltäglich erfahre ich dies auch in meinem derzeitigen Dienst: da kommt jemand mit einem Anliegen zu mir. „Höre ich mir es an? Weise ich es von vorn-herein ab?“ Oder aber: Lade ich die Person ein, dieses Spiel wirklichen Miteinanders zu leben: du bringst wirklich alle deine Argumente vor, ohne mit irgendeinem hintan zu halten und „legst es in die Mitte“ und danach mache ich das Gleiche. Wir beide stellen uns damit einem „Dritten“, von dem wir ja wissen: wenn wir in Liebe einander begegnen, ist Er als der Lebendige und Auferstandene unter uns. Und wir sehen es als Gewinn an, wenn wir durch die wechselseitige Darlegung all unserer Argumente zu einem Ergebnis kommen, das weder ihn bzw. sie noch mich als Sieger vom Platz gehen lässt. Oft ist es tatsächlich so, dass etwas ganz Neues entsteht, zu dem beide Seiten 100%ig stehen können.
Das ist ein herausfordernder Lebensstil, weil wir ihn auch nicht gewohnt sind, weil wir in alten Denkschemata etwa des Entweder-Oder zutiefst gefangen und gefesselt sind von „oben“ und „unten“; zugleich aber ist dieser auch Geschenk, weil er nicht machbar ist. Aber: es ist einer, der tatsächlich Kirche erfahrbar werden lässt – eine Kirche, die nicht nur im Namen die Gemeinschaft der Herausgerufenen ist, sondern eine, die deutlich zum Ausdruck bringt, wer ihr Leben gibt, weil ER, der Auferstandene bestimmt, wo’s langgeht, Gott selber also in ihrer Mitte wohnt.“

Heute im Blick

Ein „Plädoyer für eine Kirche, die mit den Menschen geht“ gab heute Vormittag der frühere Abt von Einsiedeln P. Martin Werlen beim Österreichischen Ordenstag ab, Er erinnerte u.a. an die Ansprache unseres Papstes zum 50-Jahr-Jubiläum der Institution „Bischofssynode“. Spannend, wie Papst Franziskus Kirche dort neu sieht und vor-lebt.
Näheres habe ich hier gepostet.

Das Kind in der Mitte

„Jesus stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen:  Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.“

Einfache und verständliche Worte Jesu. Alles andere als einfach zu leben. Denn tagaus, -ein erfahren wohl viele von uns die Logik eines anderen Lebensstils. Üblicherweise zählt der „Chef“ mehr. – Seit nunmehr 3 Monaten bin ich ein solcher „Chef“. So jedenfalls werde ich wahrgenommen; Bischöfe zählen dazu. Man ist immer wieder in der 1. Reihe, man ist „Person des Öffentlichen Lebens“ mit all den Annehmlichkeiten wie auch den damit verbundenen Schwierigkeiten, viele wollen in Kontakt treten, wollen mitunter auch, dass der Bischof zu jedem und allem was sagt etc. Ich könnte die Liste meiner Erfahrungen fortführen, etwa, dass ein Bischof in Amtskleidung leichter in den Petersdom reinkommt als andere, dass es unglaublich viele Menschen gibt, die sich freuen, dass ich Bischof geworden bin usw. Angesichts des Evangeliums muss ich mich aber genau vor alledem in Acht nehmen; es ist durchaus geeignet, eine Art „Beichtspiegel für einen Bischof“ zu sei.

Gott sei Dank aber gibt es da u. a. junge Leute, mit denen man unterwegs ist, sagen wir auf einer Ministrantenwallfahrt. Denn – auch das ist im Evangelium deutlich zu hören – wenn man sich auf junge Leute um Jesu willen einlässt, auf Kinder, dann nimmt man letztlich IHN auf als den, der uns beim rechten Menschsein hilft.
Was ich mir von dort mitgenommen habe? Einige kurze Gedanken.

Da gibt es viele junge Leute, die Interesse haben an dem, was wirklich zählt – ca. 8.000 Ministranten sollen es sein in der Steiermark. Nehmen wir als Pfarren das einfach zur Kenntnis? Gehen Sie uns nur ab, wenn wieder mal keine/keiner da ist? Oder aber: lassen wir uns ein auf sie und ihre Lebenswelt, damit wir ihnen von dem mitgeben können, was uns selbst an unserem Glauben wertvoll ist, was uns selbst Gott bedeutet, wie wir mit ihm umgehen im Alltag? Liebe Erwachsene: ich glaube, da haben wir von den jungen Leuten was zu lernen und dürfen uns zugleich aufgefordert wissen, uns selbst mehr „rein zu hauen“ …

Da gibt es junge Menschen, die unbefangen mit Neuem umgehen: in Rom gab es ca. 40° im Schatten, da galt es mal den, mal den Weg zu gehen, da hieß es spontan zu sein und auf andere zuzugehen, die einem noch fremd waren. Binnen kürzester Zeit aber waren Tücher getauscht und Bekanntschaften geschlossen – ja: es gibt sogar eine whatsApp-Gruppe eines Busses, der aus diesem Dekanat mit war! – Wie schwer wir Erwachsene uns da oft tun, uns auf Neues einzulassen. In den Pfarren höre ich immer wieder, nicht nur von Pfarrern, es soll ja alles so bleiben wie es ist – von Jesus aber wissen wir, dass er so ziemlich alles anders gesehen und entsprechend geändert hat. – Angesichts der vielen, die da zu uns kommen und Hilfe brauchen, gibt es immer wieder Stimmen, die sagen, dass wir uns mal um die Einheimischen kümmern sollten [ich frage mich dann, wieso wir das nicht schon längst gemacht haben?], dass die dort bleiben sollten, wo sie sind etc. Junge Menschen aber, und das erfahre ich in den letzten Wochen auch immer wieder, fragen nach, wo und womit sie helfen können, unbürokratisch etc.; Erwachsene denken oft lange nach, stellen Fragen, weisen zurecht und argumentieren sich mitunter ganz gescheit an den Notwendigkeiten vorbei.

Zwei kleine Beispiele, wo deutlich wird, dass junge Leute sich vielleicht leichter tun, das Einfallstor Gottes zu uns Menschen in den konkreten Situationen, denen wir gegenübertreten, zu erkennen. Und das ist eigentlich unsere Sendung als Christen, auch hier! Danke also Euch Jungen, dass Ihr unseren Glauben stärkt, dass Ihr damit auch mir in diesen Rom-Tagen geholfen habt, nicht zu sehr nach oben zu schweben, sondern ganz bei Euch zu sein. Danke daher auch, dass Sie dem Bischöfl. Spendenkonto zur Flüchtlingshilfe was zur Verfügung stellen als deutliches Zeichen dafür: „Wir Katholiken im Dekanat Gleisdorf nehmen Gottes Anruf wahr und helfen – mit Geld, mit Wohnraum, mit dem und dem …“ und: wir lernen uns dabei als Kirche neu kennen!

(schriftliche Auszüge aus der Predigt bei der Dekanatswallfahrt des Dekanates Gleisdorf 19.9.2015)

Kirche ist mehr

10 Tage sind mir derzeit in Rom geschenkt: Gemeinsam mit mehr als 120 Kollegen, die im vergangenen Jahr zu Bischöfen ernannt bzw. geweiht wurden. 17 davon kommen aus katholischen Ostkirchen.
Mir wird hier unter anderem deutlich:
Kirche ist mehr …
* 5 Bischöfe sind aus Deutschland und Österreich angereist. Es gibt keine deutsche Übersetzung. – Kirche ist mehr als der Horizont, in dem ich groß geworden bin und den Weg der Nachfolge Christi begonnen habe. Eine „heilsame“ Ent-Grenzung sozusagen, die nicht nur gut, sondern auch nottut. Nur allzuoft glaube ich, dass meine Fragen die sind, die alle Welt zu interessieren haben … Im „Hirnkastl“ ist das zwar präsent, aber es ist was anderes, das „hautnah“ zu erfahren.
* Da bin ich in der kleinen Austauschrunde mit den neuen slowenischen Bischöfen, den Bischöfen aus Krk und aus Budweis, 3 aus den deutschsprechenden Landen sowie einem von der IS verfolgten aus dem Irak beisammen. – Und plötzlich wird deutlich: das Leben in der Nachfolge Jesu ist – weltweit gesehen – alles andere als immer nur Honigschlecken. Ich weiß: die Situationen sind nicht zu vergleichen und dennoch werden unsere Fragen und Sorgen auf den Ort verwiesen, wohin sie wirklich gehören. Es ist eben ein Unterschied, ob Nachfolge zu leben ist in der Furcht um das eigene Leben oder ob man in Freiheit seine Religion bekennen und ausüben kann. Nutze ich, nutzen wir diese und gegebene Chance wirklich – auch angesichts der Wanderungsbewegungen, die sich auf unserem Kontinent derzeit ereignen?
* Da bin ich mit Bischöfen aus Lateinamerika, aus dem Nahen Osten, aus der Ukraine, aus Europa, aus Nordamerika etc. an „einem“ Tisch – die Sprache muss je neu gefunden werden und dann geht es manchmal nur mit „Händen und Füßen“. Vielfach wächst Kirche. Ich „lerne“, dies auch bei uns zu sehen – ein Perspektivenwechsel ist angesagt. Auch in unserer vergleichsweise „alten“ Kirche bricht sich immer wieder neues Leben Bahn. Nehme ich es hinreichend wahr, auch wenn es den normalen Ablauf irritiert und mitunter quer geht zum Geplanten? Gibt es nicht auch die Realität, dass Gott überraschend eingreift und zum Zeugnis herausruft, zu einer vielleicht neu zu akzentuierenden Sendung auffordert?! Etwa: Flüchtlinge – Sein Anruf? Etwa: Menschen, die sich abgewendet haben, enttäuscht sind von Kirche usw. – ein Aufruf von Gott, nicht zu meinen, dass ich „alles“ bin?! Etwa: Menschen die sich engagieren, neu anfangen mit der Nachfolge Christi in dieser oder jener Form, Bewegung, Gruppierung vielleicht auch jenseits von Pfarre – ein Plan Gottes, nicht zu eng zu denken in fixen Territorien, Pfarrgrenzen etc.?!
* Wie wenig ich doch Kirche und kirchliche Situationen weltweit kenne. Klar: im normalen Alltag reichen die üblichen Dinge, aber habe ich hinreichend weltkirchliche Fragen „intus“? Klar: ich muss mir nicht die Probleme zu meinen machen, die andere haben, aber ich darf auch nicht die Fragen, die mich und uns hier betreffen hichstilisieren zu den Fragen aller und weltweit. Ganz abgesehen davon, dass ich eine ganz beschränkte Erfahrungswelt habe – nicht nur weil ich Brillen trage: ich muss ganz einfach mehr kennenlernen, mich für andere interessieren, ihre Welt und ihr Denken, ihre gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen usw., damit ich mich selbst im Gefüge der einen Welt neu und entsprechend entdecke. Da komme ich u.a. auch zur Erkenntnis: nicht Flüchtlinge sind der Skandal, sondern der Krieg oder die Kriege, die in verschiedenen Weltgegenden toben; si jedenfalls hat es die Gemeinschaft Sant’Egidio formuliert und den kann ich mich nur anschließen.
Und ich darf dies auch von den anderen erbitten, Liebe gilt es in der Nachfolge Christi gegenseitig zu leben. – Und ganz nebenbei mache ich dabei die Entdeckung, dass eben hier in Rom Weltkirche vor Augen ist, wenn Äußerungen getätigt und Schriften veröffentlicht werden …

Danke für diese geschenkten Tage!

Von diesen Tagen hier in Rom wurde ein Interview mit Radio Vatikan gesendet, das hier nachgelesen bzw. nachgehört werden kann.

Beratung in der Kirche

Christian Hennecke ist seit kurzem Pastoralamtsleiter der Diözese Hildesheim. Erstmals war er bei einer Sitzung des Diözesanrats dabei und schildert in seinem blog, dass Beratung in der Kirche mehr sein „muss“ als Überlegung von Aktivitäten u.ä.m., sondern  „Hinschauen mit den Augen des Evangeliums“ auf die Wirklichkeiten ist, wie sie sich uns darbieten.