fürs (Über)Leben

Wirtschaftsdaten und die Statistik der Arbeitslosen machen deutlich: Da ist einiges in der ganzen Welt und auch bei uns aus den Fugen geraten. Wohin die Reise geht, kann redlicherweise wohl niemand ganz genau sagen. Klar scheint nur: die ganze Welt schlittert in eine wirtschaftliche Krise, in die Rezession – ausgelöst durch ein Virus. Ich selbst bin bekanntlich keiner, der sich auf dem Gebiet der Wirtschaft auskennt, möchte aber dennoch mehrere Ebenen von Fragestellungen benennen. Und ich stelle natürlich auch so manche Überlegungen an, die unserer Kirche als Diözese betreffen – im Anschluss an den Ökonomen unserer Diözese schon vor einigen Wochen im steirischen „Sonntagsblatt“.

  1. Unternehmen
    Der „shutdown“ – nicht nur hier bei uns, sondern in vielen Ländern der Erde – bringt die üblichen Kreisläufe von Unternehmen und Wirtschaft gehörig durcheinander. Es wird eine weltweite Rezession geben. Wann die Erholung soweit gediehen sein wird, dass Aufatmen angesagt ist, steht in den Sternen. Mit vielen Initiativen versuchen die verschiedenen Staaten, das „Werkl“ der Wirtschaft am Laufen zu halten.
    Deutlich zu werden scheint mir: Wir werden – wohl weltweit – nicht auf der Ebene weitermachen können, die wir vor der Krise verlassen haben. Die Länder des Südens wird es wohl intensiver treffen – auch weil sie weitgehend zeitverzögert in die Fänge des Virus gezogen wurden. Dies wiederum hat zur Folge, dass jene, die an der Aufarbeitung der Krise bereits arbeiten und daher – klarerweise – eher mit sich selbst beschäftigt sind, unter Umständen nur schwer zu motivieren sein werden, ihren Blick zu weiten, damit „nicht allzu viele unter die Räder kommen“. Ob das Bewusstsein in einer Welt zu leben – das ja ob der globalen Viruskrise deutlich vor Augen steht – auch wirtschaftlich vorhanden ist, wird sich meines Erachtens erst weisen. Wenn ich mir die Debatten der vergangenen Wochen angesichts der schrittweisen Öffnung des gesellschaftlichen Lebens in Österreich und die damit einhergehenden Grabenkämpfe in Erinnerung rufe, kann ich nur meine Hoffnung darüber äußern, dass die Herausforderungen, die sich in der Welt stellen, genauso ernst genommen werden, wie die vor Ort. Denn: auch die wirtschaftlichen Venetzungen sind uns in den vergangenen Wochen mehr als deutlich vor Augen geführt worden.
    Auch für uns in der Diözese Graz-Seckau tun sich einige Herausforderungen auf, nicht nur deswegen, weil wir – und damit alle kirchlichen Rechtspersonen – als Körperschaft Öffentlichen Rechts im Prinzip von staatlichen Hilfestellungen wie etwa der Kurzarbeit ausgenommen sind. Dort, wo wir es den gesetzlichen Vorgaben entsprechend für möglich erachtet haben – das sind vereinfacht gesagt einige Betriebe – haben wir freilich auch von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Da der größte Teil der diözesanen Einnahmen – 70 % – über Kirchenbeiträge erlöst werden, ist wohl zu erwarten, dass wir nicht ohne ein neu erstelltes Krisenbudget das Jahr 2020 meistern werden können. Darüber hinaus ist es notwendig, die ohnedies für die kommenden Jahre angedachten Veränderungen schneller durchzuziehen, damit Kirche erlebbar bleibt. Als Bischof soll ich bekanntlich „wie ein guter Hausvater“ die Finanzen verwalten; das bedeutet eben auch einen realistischen Blick auf die Entwicklungen zu lenken.
    Nicht vergessen werden dürfen hier die vielen – selbständigen – Pfarren, die einen Gutteil ihrer Jahresbudgets über die Sammlungen in der Kirche bei diversen Anlassen finanzieren: 9 Wochen – darunter auch „Hoch-Feste“ wie Palmsonntag und Ostern ohne diese Sammlungen auszukommen, ist ein bedeutender Verlust, dazu muss ergänzt werden, dass nach dem ersten Schritt der „Öffnung“ auch bei weitem nicht so viele Menschen kommen können wie gedacht, Firmungen und Erstkommunionen wurden verschoben etc. etc. – Hier haben wir als Diözese freilich auch notwendiger Weise die Pflicht, solidarisch zu handeln, was wohl wiederum unseren Haushalt beeinflussen wird …
  2. Arbeitskräfte
    Hunderttausende sind derzeit arbeitslos – die Rate ist in Österreich die höchste seit Kriegsende. Auch hier gilt: die Situation in der Welt ist in vielen Staaten eine ähnliche. Damit stellen sich freilich neue gesellschaftliche, also soziale Herausforderungen. Die Hilfeleistungen unserer karitativen Einrichtungen werden deutlicher in Anspruch genommen als noch vor ein paar Monaten. Auch was die Entwicklung am Arbeitsmarkt anbelangt, kann derzeit wohl nur in der Glaskugel weisgesagt werden. Der soziale Zusammenhalt unserer Gesellschaft wird sicher in den nächsten Monaten, wenn nicht gar Jahren, neu gefordert sein: denn es wird uns wohl nicht mehr so gut gehen wie vor der Krise. Was es bedeutet, mit weniger auszukommen, müssen in unserer Gesellschaft wohl noch viele mühsam lernen; allerdings werden wir wohl nicht darum herumkommen. Gerade hierfür erscheint es mir wichtig, dass die Verantwortungsträger in der Politik nicht auf dem Rücken der Betroffen Profit machen wollen, indem sie versprechen, was nie und nimmer einzulösen sein wird oder sprichwörtlich das Blaue von Himmel erzählen, als ob einfache Antworten einfach alles lösen würden.
    Aber auch unter diesem Punkt sei die weltweite Dimension in Erinnerung gerufen: es wird wohl auch hier so sein, dass die Ärmsten der Armen diese Krise – unverschuldet – am meisten zu spüren bekommen. Unsere kirchlichen Hilfswerke, die in den letzten Jahrzehnten ein gutes Gespür für Fragestellungen rund um weltweite Gerechtigkeit entwickelt haben, haben schon zu Beginn auf so manche große Herausforderung hingewiesen – und nicht nur die, dass sie selbst als spendensammelnde Organisationen wohl von Spendeneinbrüchen betroffen sein werden und bei bereits eingegangenen Verpflichtungen mit den Partnern weltweit vor großen Fragestellungen stehen. Solidarität und damit weltweit gelebte Geschwisterlichkeit zwischen allen Beteiligten wird uns wohl abverlangt werden. Auch hier hoffe ich, dass dieser Appell mit der nötigen Dringlichkeit ernst genommen wird. Hinzu kommen die vielen nach wie vor schwelenden Konflikte rund um den Globus, die durch die Corona-Krise alles andere als leichter wurden: Krieg und Flucht, Hunger und ohnedies schon vorhandene Not durch andere Naturkatastrophen stellen sich nach wie vor Aufgaben für die Staatengemeinschaft.
    In den gesamten Überlegungen, wie wir uns als Kirche in der Steiermark in den nächsten Jahren positionieren, war schon zu Beginn der sogenannten „Kirchenentwicklung“ deutlich, dass der Spagat zwischen „Aufbruch“ bei gleichzeitiger notwendiger Reduktion ob des zu erwartenden Rückgangs an Einnahmen ein schwieriger werden wird. Dies hat sich für unsere – weltweit betrachtet – gut situierte Diözese durch diese Krise schneller als erwartet dazu entwickelt, dass Prioritäten gesetzt werden müssen, die so manches an Gewohntem hintanstellen heißt und daher einiges wohl nicht mehr oder nur mit geringeren Mitteln geleistet werden kann. Da wir als Institution beinahe drei Viertel unseres diözesanen Budgets für unser Personal aufwenden, stellen sich auch auf diesem Gebiet in den kommenden Monaten und Jahren besondere Herausforderungen, die wir freilich mit den Grundlagen unseres Selbstverständnisses – Evangelium, Zukunftsbild usw. – verträglich hoffen meistern zu können. Als Teil der Weltkirche können wir uns natürlich nicht – gerade weil wir unter diesem Blickwinkel uns als „reiche Kirche“ zu verstehen haben – von den Entwicklungen rund um den Erdball dispensieren.
    Was denn nun wirklich notwendig ist müssen sich freilich auch alle anderen kirchlichen Körperschaften stellen, haben doch etwa auch Pfarren so manche Angestellte, gegenüber denen es – auch soziale – Verpflichtungen gibt.
  3. weitere Fragestellungen
    Darüber hinaus dürfen meines Erachtens andere Fragen nicht vergessen werden, die prinzipiell zu stellen sind. Sie seien hier bloß angerissen, weil sie redlicherweise alle anderen mit beeinflussen.
    –     Werden wir es schaffen, mit weniger auszukommen?
    –     Der „lockdown“ hat viele wirtschaftliche Flüsse weltweit praktisch von einem Moment auf den anderen zum Erliegen gebracht. Ist es überhaupt denkbar, aus dem Hamsterrad des „immer mehr und immer schneller“ herauszukommen, ohne dabei Grundtatsachen unseres Wirtschaftssystems zu negieren? Und: wie können auch wir als Kirche diesem Hamsterrad entkommen?
    –     Wie könnten Alternativen, die Ökonomie, Ökologie, demographische Entwicklung usw. mit in Entscheidungen einfließen lassen, so in die durchstartenden Wirtschaftsvorgänge eingebracht werden, dass das „aufgezwungene Innehalten“ der Weltwirtschaft positiv für möglichst viele rund um den Erdball genutzt werden kann?
    Diese Fragen sind auch für kirchliche Körperschaften zu stellen und müssen dort ernsthaft angeschaut werden: ist alles, was wir derzeit tun, wirklich „so“ (über)lebensnotwendig für kirchliches Dasein, wie manchmal getan wird? Wie kommen wir da zu gut mitgetragenen Entscheidungen – und wie schaffen wir es, dass wir bei diesen Überlegungen nicht die missionarische Dimension von Kirche außer Acht lassen – wie also ist es schaffbar „out of the box“ zu denken, damit die Botschaft des Herrn weitere Kreise zieht?

Deutlich wird selbst mir: Es gibt viele Anforderungen, die sich uns mit dieser Krise stellen – als Gesellschaft und als Kirche. Stecken wir daher – um ein Bild zu gebrauchen – die Köpfe zusammen, damit wir zum Wohl der uns Anvertrauten Entscheidungen treffen können, die vertretbar sind und die uns einen begehbaren Weg in die Zukunft eröffnen, der uns in die weite und nicht in die Enge führt.