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Die Zeit der leeren Kirchen

In den letzten Tagen habe ich das neue Buch eines bekannten tschechischen Priesters gelesen und folgende Rezension danach niedergeschrieben.

Tomáš Halík: Die Zeit der leeren Kirchen. Von der Krise zur Vertiefung des Glaubens, Freiburg: Herder 2021, 208 Seiten
ISBN: 978-3451389948, € 20,60
Kindle, Ebook: € 15,99

Nach seinem Essay rund um Ostern 2020[1] hat der bekannte Soziologe und geheim geweihte Priester aus Prag, der dort seit Jahrzehnten die Akademiker-Pfarre leitet, seine Predigten und Betrachtungen zu den Sonn- und Feiertagen von Aschermittwoch bis Pfingstsonntag 2020 leicht überarbeitet in Buchform auf Deutsch veröffentlicht. Seinen 18 Texten ist ein längeres Vorwort vorangestellt, das allgemeine Überlegungen, die sich dann in einzelnen Passagen wiederfinden, beinhaltet, was denn das suchende Fragen nach dem, was Gott uns durch die Pandemie und andere Vorgänge in der Welt als Gesellschaft und Kirche sagen möchte. Die Texte sind durchaus einzeln lesbar, da sie zumindest in Teilen auf die Schriftstellen des jeweiligen Tages Bezug nehmen, und versuchen deutlich zu machen, dass so manche Form kirchlichen Lebens die Chance des „Pessach“, also das Hindurch- und Vorübergehen von Tod zum Leben, „nutzen“ soll. Dass die Erfahrungen, die Halík in Tschechien die Jahrzehnte herauf gemacht hat ist ebenso klar wie so manche immer wieder kehrende Kritik etwa an den enormen Zuwachs an Übertragungen von Messfeiern in den verschiedenen Medien, die er – im Unterschied zu anderen Fragestellungen – alles andere als differenziert betrachtet. Ein Buch, das allemal so manchen bei uns zum Nachdenken bringen könnte.

[1] https://bistummainz.de/export/sites/bistum/dekanat/ruesselsheim/.galleries/downloads/halik-theologie-pandemie.pdf


Hier ein Ausschnitt zum Nachdenken (71f.) aus der Predigt für den vierten Fastensonntag 2020:
„Zu Beginn der gegenwärtigen Krise haben viele gedacht, dass etwas wie ein momentaner Stromausfall eingetreten sei – wir beißen kurz die Zähne zusammen und bald wird alles sein wie früher. Das wird aber nicht so sein. Es ist notwendig, sich realistisch, ohne Konfusion, aber auch ohne Illusionen und billigen Trostversprechen auf ernstere und längerfristige Veränderungen in den verschiedensten Bereichen unseres Lebens vorzubereiten – und zwar auch im religiösen Bereich.
Wir wissen nicht, ob die Pandemie in drei Wochen, in fünf Monaten oder in einem Jahr abebben wird. In jedem Fall werden ihre wirtschaftlichen, sozialen und vermutlich auch politischen Folgen länger andauern. Wie viele von Ih-[72]nen versuche ich, aktuelle Informationen aufmerksam zu verfolgen und über qualifizierte Kommentare und Analysen von Spezialisten auf den Gebieten der Medizin, der Ökonomie und der Gesellschaftswissenschaften
nachzudenken. Ohne Kommentar lösche ich beunruhigende Nachrichten von Wirrköpfen, die Fake News aus bekannten Desinformationsquellen verbreiten, verrückte Vorhersagen von Astrologen, Wahrsagern und Kartenlegern. Ich versuche, mich nicht über den Hyänismus der Populisten und politischen Extremisten aufzuregen, die sich bemühen, aus der Krise für sich politisches Kapital zu schlagen. 
Eine der düsteren Erscheinungen der Zeit, die dieser Krise vorausging, war eine künstlich verbreitete Missachtung, ja sogar ein Hass gegenüber Experten – die Stimme der Vernunft wurde als elitäres Gehabe von Kaffeehausmüßiggängern bezeichnet. Der tschechische Präsident Zeman bezeichnete Intellektuelle, die ihm nicht Beifall klatschten, als das »Prager Lumpencafé«. Nachdenkliche und gebildete Menschen störten schon immer sehr die Populisten und Demagogen, die auf alles einfache Antworten und schlagende Parolen hatten. Nehmen Sie aus dieser Zeit eine Lehre für die Zukunft mit: Verachten wir nie die Stimme der Vernunft, schätzen wir gebildete Menschen und Experten, vertrauen wir nicht unqualifizierten Schreihälsen die Ruder der Macht an. Besonders in Situationen wie diesen brauchen wir Menschen, die sich auskennen und etwas können, die fachliche
Erfahrungen haben, die aber auch menschlich reif,  verantwortungsvoll, opferbereit, bedächtig und mutig sind. Zum Glück gibt es in der Welt und auch in unserer Gesellschaft solche Menschen.“