Wage zu träumen – XVI

Weihnachten rettet uns

In den vergangenen Tagen war immer wieder davon die Rede, wie wir „Weihnachten 2020“ retten könnten. Ich weiß nicht, wer diese Redewendung aufgebracht hat – sie war irgendwann einmal da, wohl von Verantwortungsträgern in der Gesellschaft, die „auf Sicht fahrend“ in dieser Pandemie zwischen verschiedenen Fragestellungen Entscheidungen zu treffen hatten, die nicht „auf gleich“ zu bringen sind: Auslastung der Krankenhäuser und Intensivstationen, Fragestellungen rund um die Pflege älterer Menschen, Schule und Bildung, Arbeit und Wirtschaft, Wohlergehen der Menschen im umfassenden Sinn etc.

Als Bischöfe haben wir festgestellt: „Wir müssen Weihnachten nicht retten in Zeiten von Corona. Weihnachten rettet uns.“ Auch wenn die Entscheidungen, die getroffen wurden, was die Feier von Gottesdiensten anlangt, dem zu widersprechen scheinen – ich sehe schon heute wieder eine Menge Post mit Vorwürfen an mich und an uns: wir sind gerade deswegen, weil „Christus, der Retter da ist“ geleitet, in dieser Krise[1], die nun schon Monate dauert, die Wirklichkeit des Herrn mitten unter uns in Erinnerung zu rufen. In für mich nach wie vor „toller“ Weise hat dazu der heutige Kardinal Grech Anfang Oktober in einer italienischen Zeitschrift ein Interview gegeben, das ich zu Beginn meiner blog-Einträge zum 2. Lockdown[2]. Vielen – auch „katholischen Insidern“ – gilt diese Glaubenstatsache meine ich in Erinnerung zu rufen: „ER IST DA!“ heißt er doch Immanuel – und Seine Gegenwart ist eine der Nähe in vielfältiger Weise, nicht nur in der Feier der Liturgie oder anderer Gottesdienste.

Ja – gerade heuer angesichts der vielen Infragestellungen unseres „üblichen Lebens“ fast das ganze Jahr über[3]: heuer hat Weihnachten einen ganz besonderen „Klang“, eine ganz und gar einmalige „Kennung“: „Glaube ich wirklich, dass der Retter Welt, Gott selbst, einer von uns geworden ist?“ – „Bekenne ich mit dem Leben, nicht nur mit den Lippen, dass ich mir Seiner Nähe und Liebe bewusst sein darf – und gerade deswegen mein Leben in Seiner Nachfolge ausrichte, etwa indem ich wirklich zu zweit, zu dritt, also im Miteinander in Seiner Liebe zu leben versuche, weil wir dadurch in Seinem Namen zusammen sind?“[4]

Ein solches Leben mit IHM, lebendig und kraftvoll: das ist Weihnachten – auch und gerade 2020.


[1] In seiner heurigen Weihnachtsansprache an die Kurie hat Papst Franziskus Bedenkenswertes zu „Krise“ gesagt – freilich im Blick auf die Hörerschaft, doch kann dies auch betrachtet werden um Schlüsse für unsere Situation zu ziehen: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2020-12/wortlaut-papst-franziskus-weihnachtsempfang-roemische-kurie-2020.html

[2] http://www.krautwaschl.info/category/lockdown – zu beachten, dass ich das Interview zu Beginn dieser Einträge ausführlich behandle, unter dieser Adresse aber die Beiträge in umgekehrter Reihenfolge gelistet sind.

[3] Dass dies bei weitem nicht nur Corona ist, mache ich unter anderem in der heutigen Festpredigt zu Weihnachten deutlich, die auf der Homepage der Diözese abzurufen sein wird: https://www.katholische-kirche-steiermark.at/.

[4] Natürlich: für diese Ausrichtung braucht es Orientierung und Stärkung – die Sakramente etc. – Aber erneut gilt es Klaus Hemmerle in Erinnerung zu rufen (Vorwort, in: Lubich, Chiara: Mitten unter ihnen. Der auferstandene Christus in der Gemeinschaft, München-Zürich-Wien: Neue Stadt 4. Aufl. 1989, 5-7 ): „In unserer Welt der Theorien und Funktionen erwacht ein neuer Hunger nach Ursprünglichkeit, Echtheit, Erfahrung. In vielfältigen, oft ungeklärten Formen bricht gerade in der jungen Generation eine religiöse Sehnsucht auf. Nicht selten gerät solche Sehnsucht aber in Engführungen. Entweder man konzentriert sich nur auf die Tiefe der eigenen Existenz, sucht gegen alle Entfremdung das bessere, tiefere Selbst, oder aber man schließt sich Jesus an, einem Jesus freilich, der nur Vorbild, nur Ideal ist und so letztlich bloß zu einer ethischen Anstrengung, zu einem neuen Humanismus herausfordert. [6] Jesus in der Mitte, das ist die Alternative. Hier stößt der Mensch durch zur Freiheit von sich, hier durchbricht er die Konzentration auf sich selbst. Es geht um ein lebendiges Du, und es geht um dieses Du in menschlicher Gemeinschaft. Dieses Du aber ist nicht ein Jesus, der gewesen ist, sondern der Gekreuzigte und Auferstandene, der hier und jetzt in seiner Kirche lebt. So oft führen religiöse Impulse und Aufbrüche weg von der Institution Kirche. Hier aber gewinnt eine Erfahrung Gestalt, die schon ungezählte Menschen wieder in die Kirche hineinführte und die ein neues Verhältnis auch zum Amt, zum Dogma, zu den Sakramenten eröffnet. Allerdings ist Jesus in der Mitte derer, die in seinem Namen versammelt sind, nicht nur eine Vorform von Kirche, sondern das Bleibende von Kirche. Wir können und dürfen, solange diese Geschichte währt, nicht auf Amt und Dogma und Sakrament verzichten. In der Vollendung aber werden diese Formen zurücktreten hinter dem, was sie vermitteln. Und dies wird bleiben: der Herr selbst, unmittelbar angeschaut, unmittel­bar lebendig inmitten der Gemeinschaft der Heiligen. Das Endgültige, die absolute Zukunft bricht dort schon jetzt in die Schatten, ins Vergehen, in die Zeit hinein, wo Glaubende so miteinander eins sind, daß der Herr in ihrer Mitte ist. Und nur wo das Ziel anschaubar ist, wird auch plausibel, warum es der Wege und Mittel zu diesem Ziel bedarf. Und [7] umgekehrt: Umbrüche in der Gesellschaft können die Wirkmöglichkeit der Kirche aufs äußerste gefährden und verkürzen: Gemeinschaft aber der zwei oder drei mit dem Herrn in ihrer Mitte bleibt die unzerstörbare, lebendige Zelle von Kirche.“