instruiert werden – VIII

8. und noch einmal was zu „Pfarren“

Diese Zeilen schreibe ich am Gedenktag des hl. Ignatius von Loyola, der die Kunst der „Unterscheidung“ lebte und „lehrte“. Vereinfacht gesagt gilt bei ihm unter anderem: „Versuche auf alle mögliche Art und Weise die Meinung des anderen zu retten.“ Denn: es gilt zunächst im Dialog wirklich, den anderen verstehen zu lernen – wie oft redet man eigentlich aneinander vorbei wiewohl man dieselben Begriffe verwendet und es kommt da und dort auch vor, dass man sich trefflich streitet und schließlich entdecken muss, dass man mit unterschiedlichen Begriffen hantiert, aber weitestgehend dasselbe meint … Viele Stellungnahmen zur vatikanischen Instruktion – in den letzten Tagen wurde ich erneut auf weitere aufmerksam gemacht[1] – sind nicht frei von diesen Fragestellungen, die m.E. mal auf der Meta-Ebene so manche Begrifflichkeit klären müsste.

Nun denn: ich möchte noch einmal – kurz wenigstens – bei dem verweilen, was wir als „Pfarre“ bezeichnen. Die Ausdifferenzierungen und unterschiedlichen Herausforderungen verschiedener Gegenden wie auch der Menschen, die sie bilden, habe ich im 7. Beitrag schon kurz geschildert. Hier möchte ich daher einige Konsequenzen beleuchten, die sich daraus – auch für ein rechtes Verstehen und Anwenden der Instruktion ergeben.

a, Es werden inhaltliche Kriterien dessen benannt, was Pfarre meint – unter dem besonderen Blickwinkel des missionarischen Auftrags und der Sendung der Kirche insgesamt.
Wenn ich dies wirklich ernst nehmen und mit diesem Blickwinkel die Instruktion lese, dann sind rechtliche Normen, die vielfach in den späteren Abschnitten in Erinnerung gerufen werden, unter diesem inhaltlichen Aspekt zu lesen. Als ich das Dokument erstmalig gelesen habe, musste ich mir diesen Blick angewöhnen, um dies nicht mit den Augen, mit denen ich üblicher Weise in unserer Breite „Pfarre“ verstehe und interpretiere zu hören und zu verstehen. Bei uns sind ja oftmals eher Größe, juristische Abläufe, Organisation usw. und damit andere Kriterien im Vordergrund als das Leben und dessen Ausrichtung – Strukturen dienen aber dem Leben [„form follows function“]. Daher mein „Verdacht“, den ich nicht loswerde: redet die Instruktion inhaltlich wirklich vom selben, was wir üblicher Weise mit „Pfarre“ verbinden? Und: sind wir bereit, „Pfarre“ nicht nur unter dem rechtlichen Aspekt, sondern auch von der Lebendigkeit der Sendung her zu „definieren“ und zu denken, wo wir ja (s.o. 7.) auch eingestehen müssen, dass „Pfarre“ eben nicht gleich „Pfarre“ ist?!

b. Ein inhaltliches Kriterium für das, was Pfarre ausmacht ist die Feier der Eucharistie – schon zu Beginn der Instruktion wird damit die Entwicklung begründet; auch in 22 wird davon gesprochen. Daraus wiederum eine Ordnungsstruktur abzuleiten ist nicht entsprechend, da zum einen auch heute schon Pfarren existieren, in denen an mehreren Orten Eucharistie regelmäßig an Sonntagen gefeiert wird – geschichtlich Gewordenes kann eben auch nicht einfach ignoriert werden [und Pfarren sind eben – rechtlich betrachtet – eine Institution, die entstehen und daher auch wieder vergehen kann]. Zum anderen ist dies auch deswegen nicht angebracht, weil damit auch gesagt werden könnte, dass eben Pfarrterritorien-Umschreibungen sich lediglich an der Priesterzahl orientieren sollten – gibt es keine Priester, so kann nicht Eucharistie gefeiert werden: eine solche Sicht von Kirche scheint mir in der Instruktion keineswegs intendiert.
Wenn also solche inhaltliche Kriterien nicht ausreichen, um eine Institution zu begründen, dann kann und darf man sich auch nicht wundern, wenn dann Normen, die sich auf die institutionelle Ebene beziehen, nicht in allem entsprechen können.

c. Schließlich: wenn Kirche immer „mehr“ ist als die konkrete Gemeinde „vor Ort“, ist doch die Orts- bzw. Teilkirche „Kirche“ im Vollsinn – und dies wiederum „nur“ in Beziehung mit der ganzen Welt, ist wohl ein Kriterium für „Pfarre“ jenes, nicht sich allein zu genügen. So wie wir Christen nicht aus uns selbst leben, sondern von IHM her und auf IHN hin, so lebt Pfarre auch nicht aus sich selbst, sondern aus der lebendigen Beziehung zu Gott und untereinander (vgl. LG 1). Durch zu starr angewendete Normierungen läuft die Lebendigkeit des Gemeinwesens „Pfarre“ Gefahr, zu erstarren in einer Art „Beamtenmentalität“, die aber der Bekehrung bedarf, soll die Instruktion ernst genommen werden. Freilich: das Bild, das wohl viele mit „Pfarre“ in Verbindung bringen ist, dass vor Ort alle „religiösen Grundbedürfnisse“ gestillt werden können und sollen – und schon deswegen ist es leider oft der Fall, mitunter sogar in räumlicher Nähe ob der in städtischen Milieus üblicher Weise auftretenden größeren Anonymität, dass ein „darüber hinaus“ denken und leben verschiedener Pfarren vielfach nicht einfach gelebt werden kann: „Liebe die Pfarre deines Nächsten wie deine eigene“ ist eine leider (!) nach wie vor viel zu wenig erfahrene Realität[2], da mit der „Institution“ „Pfarre“ – berechtigter Weise – auch viele Erwartungen einhergehen und eingefordert werden.
Mit anderen Worten: wie das Leben vor Ort „organisiert“ wird und damit das Leben in den unterschiedlichst ausgestalteten Pfarren, kann höchstens durch einen Rahmen gewährleistet werden. Die Instruktion kann nur diesen abgeben, da sie sonst die Lebendigkeit und Formbarkeit dessen, was Pfarre ist und heißt, zu wenig ernst nehmen würde.

[1] Felix Gmür (Basel): http://www.bistum-basel.ch/Organisationsentwicklung-Pastoralraume/Besonnen-weitergehen.html
Reinhold Nann (Caraveli, Peru): https://www.katholisch.de/artikel/26367-bischof-nann-instruktion-trifft-nicht-fuer-alle-ortskirchen-gleich-zu
Beniamino Kardinal Stella (Kleruskongregation): https://www.katholisch.de/artikel/26355-kardinal-stella-vatikan-instruktion-soll-fokus-auf-eucharistie-lenken
Paul Josef Kardinal Cordes: https://www.katholisch.de/artikel/26354-kardinal-cordes-verteidigt-vatikan-instruktion-und-kritisiert-bischoefe
Wolfgang Ipolt (Görlitz): https://www.katholisch.de/artikel/26352-ipolt-instruktion-zielt-nicht-auf-alleinherrschaft-des-priesters-ab
Thomas Sternberg (ZdK): https://www.katholisch.de/artikel/26348-sternberg-haelt-vatikan-instruktion-fuer-realitaetsfern
Albrecht von Croy: https://www.katholisch.de/artikel/26371-laien-sollten-sich-vertrauen-nicht-erst-erarbeiten-muessen
Thomas Schüller: https://www.katholisch.de/artikel/26374-schueller-zu-vatikan-dokument-papst-sendet-staendig-doppelbotschaften
Stefan Oster (Passau): https://youtu.be/AFmONvf5AFU
Burkhard Jürgens: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/wie-es-zur-neuen-vatikan-instruktion-gekommen-ist
Martin Zumbült: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/neuer-wein-in-alten-schlaeuchen

Darüber hinaus etwa: Otto Friedrich: Die unheilige Herrschaft, in: Die Furche Nr. 30(2020), 1; und dazu die Leserbriefe in Nr. 31, u.a. von Bernhard Körner: Ungerecht. Polarisierend, in: Die Furche Nr. 31(2020), 16.
Was um Jesu willen zu verändern wäre, Gespräch zwischen Otto Friedrich und Julia Knop, in: Die Furche Nr. 31(2020), 3f.

Mittlerweile (1.8.2020) ist auch die deutsche Übersetzung der Präsentation und damit Zusammenfassung der Instruktion [http://www.clerus.va/content/dam/clerus/Dox/Istruzione2020/Instruktion_Pr%c3%a4sentation_DE.pdf] durch die Kongregation wie auch das Dokument selbst [http://www.clerus.va/content/dam/clerus/Dox/Istruzione2020/Instruktion_DE.pdf] als pdf-file erhältlich.

[2] vgl. den für mich erhellenden Artikel von Sander Hans-Joachim: Pfarrverbände – den Pfarrer oder den Glauben teilen? in: Österreichisches Liturgisches Institut (Hg.): Heiliger Dienst 67(2013) Nr. 1, 43-49, in dem er deutlich macht, dass es eben nicht darum gehen kann, um beim Beispiel zu bleiben, den „Pfarrer zu teilen“, sondern „den Glauben“.