instruiert werden – XXI

21. einander schätzen

Wie nun mit unterschiedlichen Meinungen umgehen – und das, was so an Kritiken mir zu Ohren kam (vgl. meine früheren Beiträge, in denen ich immer und immer wieder auf manche bezug nahm) – auch mit den bischöflichen Wortmeldungen, die sofort beklatscht wurden, wenn sie sich „gegen Rom“ wendeten [im Übrigen wurde eine oft differenziertere Sicht als ein Wort nicht ebenso wahrgenommen]? Wenn ich mir erneut eine meiner Lieblingsbibelstellen, das erste Lied das von Christen überliefert wurde, im Brief des Paulus an die Gemeinde in Philippi in Erinnerung rufe )vgl. Phil 2,6-11), dann ist dies dort eine Antwort auf die Art und Weise, wie wir innerkirchlich miteinander umgehen sollten: „Wenn es also eine Ermahnung in Christus gibt, einen Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes, ein Erbarmen und Mitgefühl, dann macht meine Freude vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig, einträchtig, dass ihr nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen. Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Phil 2,1-11). Was hält also diesem Maß stand?

Bedeutet das zunächst nicht, dass ich zunächst dem bzw. der mit einer anderen Meinung als der meinen zubillige, auch mit bestem Wissen und Gewissen Überlegungen anzustellen? Versuche ich wirklich, „eins“ zu werden, also auch mein Gegenüber „tief“ zu hören oder „weiß ich eigentlich schon vorher, was ich antworten möchte“? Oder auch: versuche ich wirklich mit allem, „die Meinung des anderen zu retten“ (vgl. Ignatius von Loyola), auch damit ich den Gesprächs- oder Dialogpartner wirklich verstehe? – Wenn ich das so schreibe, dann ist dies freilich in alle Richtungen gesagt, an die ich unter dem Vordersatz oben denke: da gibt es die Bischöfe, da gibt es die Kleruskongregation, da gibt es viele, die enttäuscht sind und sich einfach übergangen fühlen etc.: Egal, ob mir das gefällt oder nicht – es gilt, sich in alle hinein zu versetzen, auch um zu entdecken, wo denn wirklich „der Hase im Pfeffer“ liegt. – So etwa gilt dann meines Erachtens, dass das Ganze der Instruktion zu sehen ist und nicht bloß einzelne Normen[1] herauszupicken sind, die tatsächlich – eng verstanden – alles andere als hilfreich sind, wenn es darum geht, Entwicklungen voranzutreiben.

Hinzu kommt in unserem Fall, davon bin ich einigermaßen überzeugt, dass durch viele negative Erfahrungen, wie also mit der Verantwortung in der Kirche teilweise umgegangen wurde und wird und daher dann die Lösung naheliegt, das Kind mit dem Bade auszuschütten: so Probleme zu lösen ändert aber nichts am „System“, das ja eigentlich kritisiert wird. Der Missbrauch als Konsequenz von Abhängigkeit/en ist durch nichts zu entschuldigen – und die Art und Weise wie damit umgegangen wurde und wie (wenig) schnell unsere innerkirchlichen Mühlen hier mahlen ist auch zu hinterfragen, aber auch hier muss die rechte „Kur“ gefunden werden, die eben – und damit bin ich wieder beim Titel der Instruktion – von denen die ein Amt ausüben „Umkehr“ einfordert und einmahnt. Wie ist dies – als inhaltliche Maxime – rechtlich festzumachen?

Hinzu kommt eine Mentalitätsfrage im Umgang mit rechtlichen Normen – auch das habe ich im Zusammenhang schon das eine oder andere Mal in Erinnerung gerufen: die Norm ist nicht die Beschreibung des einzig gangbaren Wegs, sondern eine Grenzziehung. Wie etwa ein Pfarrer seine Amtsführung gestaltet kann nicht geregelt werden, sie hat nur innerhalb des Rahmens zu erfolgen: wir in Graz bitten daher eindringlich, dass die Pfarrer um wirklich den Dienst der Leitung ausüben zu können, also um den – amtlichen – Verweis auf den eigentlichen Herrn, dem zu folgen alle Getauften innerlich verpflichtet sind, wirklich leben zu können, von sich aus schriftlich mit anderen diverse Vollmachten[2] vereinbaren („commitments“), die es überhaupt es erst möglich machen, größere Pfarren zu führen?[3] Auch für mich als Bischof ist das Leben eigentlich nicht anders vorstellbar als dass Vollmachten erteilt werden und damit die Handlungsvollmacht eben bei anderen Personen liegt; auch schon als Pfarrer [3 Pfarren, ca. 20.000 Bewohner] wäre es mir unmöglich gewesen alles operativ zu führen – mein Dienst ist ein anderer innerhalb des Gefüges von Kirche als der, „Hansdampf überall“ zu sein[4], meiner ist der auf Christus zu verweisen[5].

[1] Nebenbei: da wird – wie schon öfter in diesem blog gesagt – nichts Neues gesagt. Und gerade deswegen wundern mich manche Kommentatoren, die so tun als ob diese Instruktion ein Rückschritt sei. Instruktionen – so der Beginn meiner Überlegungen – aber haben ja eigentlich von der literarischen Gattung her nicht im Sinn, Neuigkeiten zu verbreiten. – Wenn schon kirchenrechtlichen Normierungen infrage gestellt werden, dann ist die richtige Quelle anzugehen. Auch das wird von manchen Kommentatoren gemacht, mitunter aber eben auch so, als ob die Instruktion als Interpret dies machen sollte – Gesetzgeber aber ist der Papst. – Etwas Anderes ist es zu sagen, dass mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Klärung von der inneren Verbindung von Weihe und Jurisdiktion auch eine Verengung in Kauf genommen wurde, die es uns derzeit alles andere als leicht macht – so ich es recht sehe – die Themen rund um „Leitung“ im Sinn des Konzils (vgl. blog-Beitrag 17 [https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xvii])und „leiten“ im Sinn des „Managens“ auseinander zu halten. Angesichts der meist aufgeheizten Debatten wird dann oft schon übersehen, wie viele Einrichtungen etc. in unserer Kirche und auch Diözese von Frauen geleitet und verantwortet werden.

[2] Organisationstheoretisch würde hier wohl „delegieren“ stehen, doch ist dies – ähnlich wie „Leitung“ innerkirchlich inhaltlich anders als im üblichen Sprachgebrauch besetzt und bedeutet dann – um es in einer Analogie zu sagen: der Bischof kann etwa manche seiner Leitungsfunktionen an Vikare „delegieren“, die dann diese rechtsgültig ausüben [vgl. „General-Vikar“]. „Delegiert“ werden kann im kirchenrechtlichen Kontext also wenn es um Fragen der Leitung (wieder im kirch[enrecht]lichen Sinn) geht nur an geweihte Amtsträger. – Ob dies Sinn macht und angegangen werden soll, braucht eine Debatte, keine Frage. Darüber hinaus wäre es auch an der Zeit, mal die prinzipielle Frage zu stellen, ob Begriffe nicht sinnvollerweise innerhalb des kirchlichen Rahmens und außerhalb desselben möglichst dasselbe bedeuten sollten, um nicht – wie im Fall des Begriffs „Leitung“ oder auch „Delegation“ Streit hervorzurufen, obwohl nicht dasselbe gemeint ist …

[3] Manche Rückfragen an mich betrafen etwa dieses Thema: Darf der Pfarrer von sich aus manche Vollmachten anderen erteilen? „Was denn sonst?“ war meine verblüffte Antwort – „Er kann seinen Dienst ja sonst nicht in dieser Verantwortung leben.“

[4] Vgl. zu diesem Gedanken die nach wie vor sehr hilfreich Priorisierungen, die Klaus Hemmerle und Wilhelm Breunig schon 1982 unter dem Titel „Wie heute als Priester leben? Versuch einer geistlichen Orientierung“ in der pwb Sonderdrucke-Reihe (Nr.18) herausgegeben haben. 10 Prioritäten legen die beiden vor, die meines Erachtens zeitlos sind (nicht nur, weil sie in mehrere Sprachen übersetzt wurden, 2017 wurden sie in überarbeiteter Form zum wiederholten Mal aufgelegt). Diese Priorisierungen gelten zweifelsohne analog für alle pastoralen Dienste. Der gesamte ursprüngliche Text, der unter https://www.klaus-hemmerle.de/de/werk/wie-als-priester-heute-leben.html (10.8.2020) abrufbar ist, hält folgende Priorisierungen bereit und macht deutlich, wie sehr dieses Tun ein geistliches ist:

  1. Wichtiger ist, wie ich als Priester lebe, als was ich als Priester tue.
  2. Wichtiger ist, was in mir Christus tut, als was ich selber tue.
  3. Wichtiger ist, dass ich die Einheit im Presbyterium lebe, als dass ich in meiner Aufgabe allein aufgehe.
  4. Wichtiger ist der Dienst des Gebetes und des Wortes als der Dienst an den Tischen.
  5. Wichtiger ist, die Mitarbeiter geistlich zu begleiten, als möglichst viele Arbeiten selbst und allein zu tun.
  6. Wichtiger ist, an wenigen Punkten ganz und ausstrahlend da zu sein, als an allen Punkten eilig und halb.
  7. Wichtiger ist Handeln in Einheit als noch so perfektes Handeln in Isolation. Also: Wichtiger ist Zusammenarbeit als Arbeit, wichtiger communio als actio.
  8. Wichtiger, weil fruchtbarer, ist das Kreuz als die Effektivität.
  9. Wichtiger ist die Offenheit fürs Ganze (also für die ganze Gemeinde, fürs Bistum, für die Welt-kirche) als noch so wichtige partikuläre Interessen.
  10. Wichtiger ist, dass allen der Glaube bezeugt wird, als dass alle herkömmlichen Ansprüche be-friedigt werden.

[5] So etwa habe ich zu einem Pfarrgemeinderat mal gesagt: wie ein Pfarrfest organisiert wird, muss nicht Thema einer Pfarrgemeinderatssitzung sein, an der ich teilnehmen muss …