instruiert werden XXIII

23. neuer Wein in alten Schläuchen?

Unter Berufung auf die uns bekannte Bibelstelle „Da kamen die Jünger des Johannes zu ihm und sagten: Warum fasten deine Jünger nicht, während wir und die Pharisäer fasten? Jesus antwortete ihnen: Können denn die Hochzeitsgäste trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam weggenommen sein; dann werden sie fasten. Niemand setzt ein Stück neuen Stoff auf ein altes Gewand; denn der neue Stoff reißt doch wieder ab und es entsteht ein noch größerer Riss. Auch füllt man nicht jungen Wein in alte Schläuche. Sonst reißen die Schläuche, der Wein läuft aus und die Schläuche sind unbrauchbar. Jungen Wein füllt man in neue Schläuche, dann bleibt beides erhalten“ (Mt 9,14-17 parr.) wird der Grundansatz der Instruktion mitunter auch negativ kritisch betrachtet[1]. Es wird bei diesen Interpretationen angemerkt, dass eben „neue [Gestalt von] Kirche“ nicht durch die Wiederholung alter rechtlicher Normen gefunden werden könne[2]. Wenn aber dann in Konsequenz und Begründung dafür von einer neuen Art und Weise die „Macht in der Kirche“ zu verteilen die Rede ist, regt sich in mir Widerspruch, denn eine neue Art „Macht zu verteilen“, ist eigentlich nur eine Fortführung des alten Denkens unter umgedrehten Vorzeichen und gerade deswegen eigentlich nichts Neues. Ähnliches erleben wir in den letzten Jahren immer wieder in der Kirche zwischen den vielfach so benannten „Lagern“ der „Konservativen“ und der „Progressiven“. Beide Seiten unterliegen meines Erachtens dem selben Trugschluss, da sie ein „altes setting“ von Kirche in unseren Breiten, das wesentlich durch die Freiheit und die danach folgende Entwicklung zur Staatsreligion mit den entsprechenden Privilegien etc. geprägt ist. So als ob diese Form auf alle Fälle weiterbestehen müsse – also müssten nur einfach eben neue Weihezulassungskriterien geschaffen werden oder aber das Priesteramt in seiner entsprechenden Form verstärkt betont werden …

„Jungen Wein“, so die revidierte Einheitsübersetzung 2016 in „neue Schläuche“ zu füllen bedeutet meines Erachtens zunächst und zuallererst „Bekehrung zu einem neuen Lebensstil“, der wirklich das Miteinander in der Kirche unter den Vorzeichen der Botschaft Jesu stellt. Was sich da an gegenseitigen „Exkommunikationen“ und „Vernaderungen“ derzeit abspielt – ob es in den Pfarren ist oder auch weltkirchlich scheint mir in diesem Zusammenhang eigentlich sekundär – schreit wirklich zum Himmel. Kämpfe rund um die „Hand-“ oder „Mundkommunion“ als einzig rechtgläubige Art des Empfanges – auch und erneut hochgekocht in der COVID-Krise und den damit einhergehenden Regelungen für die Feier von Gottesdiensten; Vorhaltungen ob und wer denn nun der rechtmäßige Papst sei usw.: Christen, näherhin Katholiken hauen sich öffentlichkeitswirksam mitunter die Schädeln ein – und der Drang zu diversen Mikrophonen oder auf social-media-Plattformen ist schier unstillbar. Der Eindruck mag entstehen, dass wir uns eifrigst mit der Innenarchitektur beschäftigen, aber eigentlich unsere Sendung für so manche nicht mehr deutlich wird … Und um die sollte es gehen: „Geht …“ ist nicht nur die Aufforderung am Ende der Messfeier, sondern auch jene des Auferstandenen auf dem Berg in Galiläa [vgl. Mt 28,20].

Mein Ansatz in den kommenden Beiträgen wird es daher sein, konsequent – so gut es mir möglich ist – den Ansatz „neuen“ Lebens von Kirche zu buchstabieren, das allen in ihr aufgegeben ist und daher auch von jenen – wie selbstverständlich (!) – zu leben ist, die ein Amt in ihr ausüben. Ich glaube an mir selbst und auch in vielen Pfarren und Gemeinde wahrnehmen zu müssen, dass es an dieser (!) Veränderungsbereitschaft am ehesten mangelt, denn eine gewisse Form von Kirche, die sich eben in den letzten Jahrzehnten herausgebildet hat, ist uns geläufig und bekannt und unter diesen Vorzeichen (!) wird dann auch an die Lektüre und das Verstehen der Instruktion herangegangen[3] – die Erneuerung bleibt dann eigentlich außen vor und auf der Strecke, also etwa die „Sendungsperspektive“ und damit die missionarische Dimension, die den eigentlichen Verstehensschlüssel für die Instruktion abgibt. Um diesen Gedanken kurz zu erläutern sei angemerkt: die Instruktion beschäftigt sich eben mit der pastoralen Umkehr der Pfarrgemeinde. Dass hierbei – logischer Weise (!) – auch jene Dienste zu betrachten sind, die für das „Funktionieren von Pfarre“ als Gemeinschaft von Menschen, ist eigentlich klar; überdies gibt es in den einschlägigen Dokumenten eben auch viele Regelungen genau für diese Dienste, damit eben diese nicht ihre eigenen Grenzen überschreiten[4]. Dass hierbei dann priesterliche Dienste genauer in den Blick kommen, weil eben – um der Klärung von Zuständigkeiten willen – dies ganz besonders zu betrachten ist, hat meines Erachtens – zumindest prinzipiell – noch nichts mit Klerikalismus zu tun[5].

[1] Dass ich immer wieder von „negativ“ bzw. auch „positiv kritisch“ schreibe hat den Sinn, dass der Begriff „Kritik“ in seiner Herkunft eben noch nichts „Bewertendes“ enthält und daher etwas zu „kritisieren“ eigentlich nichts .Anderes zunächst bedeutet als „das Besondere hervorheben“. Wie bei so vielem aber wird der Begriff nunmehr leider einseitig negativ konnotiert, was schade ist, denn ich finde, dass meine Einträge hier allesamt „Kritik“ sind zur Instruktion – im umfassenden Sinn des Wortes.

[2] Dass dann mitunter auch der Fehler in der Kritik begangen wird, der Instruktion „Rückschrittliches“ vorzuwerfen, ist eigentlich grundweg falsch. Auch das habe ich schon des öfteren angesprochen: Nicht die Instruktion führt etwas ein, sondern da gibt es dahinter stehende Dokumente etc.: und dort muss debattiert und diskutiert sowie theologisiert werden!

[3] Ich ergänze umgehend, dass dies eigentlich auch „klar“ ist – einfachste Kommunikationstheorie, wenn ich es recht sehe: man liest und hört unter den „frames“, die einem bekannt sind.

[4] Vor meiner Priesterweihe hat mich der damalige Spiritual darauf aufmerksam gemacht, dass wir in einer zunehmend von Säkularisierung geprägten Zeit Priester werden, was eben auch zur Folge hat, dass wir Gefahr laufen, ohne auch es selbst zu wollen, auf ein „Stockerl“ gehoben zu werden, weil ja Priester auch nach außen hin die sind, die Kirche repräsentierten – und das sei unabhängig von der persönlichen (Glaubens-)Einstellung mal zur Kenntnis zu nehmen. – Wie gegen diesen gesellschaftlichen Trend angegangen werden kann, der unter anderem eben auch heißt, dass Inhalte immer mehr personifiziert zugespitzt werden, ist in meinem jetzigen Dienst eine ständige Herausforderung, wenn es gilt Stellungnahmen abzugeben. Oft frage ich meinen Pressesprecher, wieso ich schon wieder was sagen soll und ob dies nicht weit besser bei anderen aufgehoben sei …

[5] Jene, die das aufgrund der Betonung des priesterlichen Dienstes der Instruktion vorwerfen, sollten sich auch fragen lassen, ob ihre Brille für die Lektüre nicht eine ist, die von einem gewissen Klerikalismus geprägt ist, der – leider! – tatsächlich sich in viele Erfahrungen von Kirche im Kleinen und im Großen eingeschlichen hat. Und damit seien auch jene gemeint, die meinen – um einen meiner Lehrpfarrer zu zitieren – „die Kirche zu besitzen“ und als Ehrenamtliche evtl. genauso wenig bereit sind, „Macht“ abzugeben …

instruiert werden XXII

22. „hätte aber die Liebe nicht“

Bei der Lektüre des neuen Buches über „Freiheit“ von Kardinal Marx habe ich mehrmals seine Bitte gelesen, Praxis, Lehre und Gebet unseres Glaubens zusammenzuhalten[1]. Und tatsächlich zeigt es auch die Erfahrung: Inhalte [Lehre] werden dort besser verstanden, wo Leben [Beziehung, Liebe] gelebt wird: „Vor allem bekleidet euch mit der Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist!“ (Kol 3,14) bzw. „Vor allem haltet beharrlich fest an der Liebe zueinander“ (1Petr 4,8a) könnten als Belegstellen aus der Bibel hierfür angeführt werden. Das, was mir in Zusammenhang mit der Instruktion – und darum soll es ja in diesen unfrisierten Gedanken meinerseits gehen – besonders nahe geht ist dieses „vor allem“. Denn das heißt dann eben auch wirklich „vor“ (!) „allem“. Liebe – und damit Beziehung, also konkretes Leben – geht vor – auch vor rechtlichen Fragestellungen.

Denn: rechtliche Grundsätze bilden ja nicht das Leben ab! – Dies habe ich schon öfter in diesen Gedanken niedergeschrieben. Normierungen setzen Grenzen und sind nicht die Beschreibung des einen Weges, der unbedingt beschritten werden muss. Und das ist – ehe ich mich dann in Kürze auch dem zweiten, vielfach debattierten Teil der Instruktion intensiver zuwende – eben auch mitzusehen – gerade wenn dieses Dokument eben auch von der „Umkehr“ spricht. Es geht demnach auch um Umkehr in der Art und Weise, wie Pfarre gelebt wird, wie die Dienste in der Pfarre gelebt werden, denn: alle diese sind Instrumente zur missionarisch-evangelisierenden Sendung der Kirche und nicht für den Selbsterhalt. Klar ist freilich, dass jede menschliche Gemeinschaft, damit sie funktionieren kann, eine Ordnung braucht, in der und durch die geregelt wird, wie der Berufung dieser Gemeinschaft entsprochen werden kann. Aber genau das (!) ist die rechte Betrachtungsweise, will man der Instruktion entsprechen.[2]

Wenn dann etwa das Amt des Pfarrers[3] „der umfassenden Seelsorge“ zu dienen hat (Instruktion 66) dann wird damit deutlich, dass es im Gesamt der Sendung der Kirche eben um das „Bleiben in der Nachfolge“, um die Orientierung an dem einen Herrn geht – und dies ist allen in Erinnerung zu rufen. Sie kann eben gesehen werden als „haltet beharrlich fest an der Liebe zueinander“. Wird dies nicht gelebt, so kann und darf man sich eigentlich nicht wundern, dass Christen kein entsprechendes Zeugnis vor und in unserer Welt abgeben. Denn: dies ist unser Kennzeichen und damit auch unsere Sendung [„Mission“]. Und hierzu gilt es sich immer wieder neu zu bekehren – an Haupt und Gliedern. Ich meine, gerade hierin in unseren Pfarren und sonstigen kirchlichen Erfahrungsräumen wie auch im Großen einer Bischofskonferenz oder auch der gesamten Weltkirche immer und immer wieder Grabenkämpfe wahrzunehmen und auch, dass bloß davon die Rede ist, die „Macht“ neu zu verteilen – damit wird aber eigentlich nichts „erneuert“, sondern „im selben System“ unter geänderten Vorzeichen weiter getan. Und zugleich muss ich – einigermaßen „zerknirscht“ – auch feststellen, dass ich mir nur schwer rechtliche Normierungen zu dieser Art des Lebens vorstellen kann: Wie „fordere“ ich ein, dass unser erstes Ansinnen als Kirche und damit auch als Pfarre oder anderer kirchlicher Erfahrungsraum eben unsere Sendung der Liebe hinein in die Welt sein muss und nicht der Organisationsaufbau etc.? Denn: Normierungen betreffen eben ja auch nur bestehende Organisationen bzw. Institutionen und sind eigentlich nicht dazu geeignet, die Vitalität zu beschreiben, in der Kirche sich in unseren Landen ereignet. –

Wieso ich darüber so ausführlich nachdenke? Ganz einfach: Wenn dem so ist, dann greifen Normen immer auf eine Idealvorstellung zu. Sie können nie und nimmer (!) alle Fälle des konkreten Lebens abdecken und sind auch nicht dazu geeignet – ich drücke es jetzt organisationstheoretisch aus – „die Geschäftsordnung“ des Lebens abzubilden. Ihr Interesse ist es, die „Leitplanken“ zu beschreiben: Laufen wir daher – zumindest in unseren Breiten – nicht Gefahr, von vornherein Texte „über zu interpretieren“? Hinzu kommt, dass wir eben ein sehr ausgeprägtes Rechts-denken und -empfinden haben – vielleicht auch deswegen, weil wir mitunter meinen, dass wir selbst uns dann mit unserer Verantwortung nobel „aus dem Spiel“ nehmen können … Und daher ist die Versuchung – und ich verwende diesen Begriff bewusst – auch groß, nach genauen „Rechtsklärungen“ zu gieren und zu suchen, die aber letztlich dann den Raum des Lebens „einschnüren“. Irgendwie „vertrackt“ das Ganze – aber eben auch ein Stück weit unsere Mentalität, die es uns erschwert, „unbefangen“ nach den Inhalten zu suchen, die geschützt werden wollen in rechtlichen Normierungen.[4]

[1] Reinhard Marx: Freiheit, München: 2020:“in dem Bemühen um die Einheit aller Christen sollte neben dem Ringen um Übereinstimmung in Formulierungen noch stärker die Offenheit dafür wachsen, auch die Gemeinsamkeit des Gebetes und der Praxis der Liebe in gleicher Weise als Ort der Wahrheit zu sehen“. Und: “ Die Lehre ist nur ein Teil der Evangelisierung; Praxis des Glaubens und Gebet kommen gleichberechtigt hinzu.“

[2] Dass es auch in dieser Hinsicht so manch Bedenkenswertes gibt, das unbedingt geschärft werden muss, ist in den vergangenen Beiträgen wohl auch schon deutlich geworden und wird auch deutlich dort benannt, wo es hingehört.

[3] Zum Begriff „Amt“ kommt mir immer wieder, dass der neue Bischof von Gurk, Josef Marketz in einem seiner Interviews mal gemeint hat, dass es diesen im Slowenischen nicht gibt, dort kann nur vom „Dienst“ gesprochen werden.

[4] Ich weiß, dass unbedingt (auch) ergänzt werden muss, dass in diesen Zeiten der Unsicherheit/en und der Polarisierung/en in der Kirche eben auch immer wieder Einzelpersonen und Gruppen gibt, die ganz bewusst aus Eigeninteresse (!) agieren. Hinzu kommt, dass der Dialog zwischen den einzelnen Verantwortungsträgern der Kirche vor Ort, einer Diözese und den römischen Behörden – mitunter auch aufgrund schlechter Erfahrungen – ausbaufähig ist und eben auch nicht immer dem Begriff wirklich entsprechend gelebt wurde oder gar nach wie vor nicht immer wird.

instruiert werden – XXI

21. einander schätzen

Wie nun mit unterschiedlichen Meinungen umgehen – und das, was so an Kritiken mir zu Ohren kam (vgl. meine früheren Beiträge, in denen ich immer und immer wieder auf manche bezug nahm) – auch mit den bischöflichen Wortmeldungen, die sofort beklatscht wurden, wenn sie sich „gegen Rom“ wendeten [im Übrigen wurde eine oft differenziertere Sicht als ein Wort nicht ebenso wahrgenommen]? Wenn ich mir erneut eine meiner Lieblingsbibelstellen, das erste Lied das von Christen überliefert wurde, im Brief des Paulus an die Gemeinde in Philippi in Erinnerung rufe )vgl. Phil 2,6-11), dann ist dies dort eine Antwort auf die Art und Weise, wie wir innerkirchlich miteinander umgehen sollten: „Wenn es also eine Ermahnung in Christus gibt, einen Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes, ein Erbarmen und Mitgefühl, dann macht meine Freude vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig, einträchtig, dass ihr nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen. Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Phil 2,1-11). Was hält also diesem Maß stand?

Bedeutet das zunächst nicht, dass ich zunächst dem bzw. der mit einer anderen Meinung als der meinen zubillige, auch mit bestem Wissen und Gewissen Überlegungen anzustellen? Versuche ich wirklich, „eins“ zu werden, also auch mein Gegenüber „tief“ zu hören oder „weiß ich eigentlich schon vorher, was ich antworten möchte“? Oder auch: versuche ich wirklich mit allem, „die Meinung des anderen zu retten“ (vgl. Ignatius von Loyola), auch damit ich den Gesprächs- oder Dialogpartner wirklich verstehe? – Wenn ich das so schreibe, dann ist dies freilich in alle Richtungen gesagt, an die ich unter dem Vordersatz oben denke: da gibt es die Bischöfe, da gibt es die Kleruskongregation, da gibt es viele, die enttäuscht sind und sich einfach übergangen fühlen etc.: Egal, ob mir das gefällt oder nicht – es gilt, sich in alle hinein zu versetzen, auch um zu entdecken, wo denn wirklich „der Hase im Pfeffer“ liegt. – So etwa gilt dann meines Erachtens, dass das Ganze der Instruktion zu sehen ist und nicht bloß einzelne Normen[1] herauszupicken sind, die tatsächlich – eng verstanden – alles andere als hilfreich sind, wenn es darum geht, Entwicklungen voranzutreiben.

Hinzu kommt in unserem Fall, davon bin ich einigermaßen überzeugt, dass durch viele negative Erfahrungen, wie also mit der Verantwortung in der Kirche teilweise umgegangen wurde und wird und daher dann die Lösung naheliegt, das Kind mit dem Bade auszuschütten: so Probleme zu lösen ändert aber nichts am „System“, das ja eigentlich kritisiert wird. Der Missbrauch als Konsequenz von Abhängigkeit/en ist durch nichts zu entschuldigen – und die Art und Weise wie damit umgegangen wurde und wie (wenig) schnell unsere innerkirchlichen Mühlen hier mahlen ist auch zu hinterfragen, aber auch hier muss die rechte „Kur“ gefunden werden, die eben – und damit bin ich wieder beim Titel der Instruktion – von denen die ein Amt ausüben „Umkehr“ einfordert und einmahnt. Wie ist dies – als inhaltliche Maxime – rechtlich festzumachen?

Hinzu kommt eine Mentalitätsfrage im Umgang mit rechtlichen Normen – auch das habe ich im Zusammenhang schon das eine oder andere Mal in Erinnerung gerufen: die Norm ist nicht die Beschreibung des einzig gangbaren Wegs, sondern eine Grenzziehung. Wie etwa ein Pfarrer seine Amtsführung gestaltet kann nicht geregelt werden, sie hat nur innerhalb des Rahmens zu erfolgen: wir in Graz bitten daher eindringlich, dass die Pfarrer um wirklich den Dienst der Leitung ausüben zu können, also um den – amtlichen – Verweis auf den eigentlichen Herrn, dem zu folgen alle Getauften innerlich verpflichtet sind, wirklich leben zu können, von sich aus schriftlich mit anderen diverse Vollmachten[2] vereinbaren („commitments“), die es überhaupt es erst möglich machen, größere Pfarren zu führen?[3] Auch für mich als Bischof ist das Leben eigentlich nicht anders vorstellbar als dass Vollmachten erteilt werden und damit die Handlungsvollmacht eben bei anderen Personen liegt; auch schon als Pfarrer [3 Pfarren, ca. 20.000 Bewohner] wäre es mir unmöglich gewesen alles operativ zu führen – mein Dienst ist ein anderer innerhalb des Gefüges von Kirche als der, „Hansdampf überall“ zu sein[4], meiner ist der auf Christus zu verweisen[5].

[1] Nebenbei: da wird – wie schon öfter in diesem blog gesagt – nichts Neues gesagt. Und gerade deswegen wundern mich manche Kommentatoren, die so tun als ob diese Instruktion ein Rückschritt sei. Instruktionen – so der Beginn meiner Überlegungen – aber haben ja eigentlich von der literarischen Gattung her nicht im Sinn, Neuigkeiten zu verbreiten. – Wenn schon kirchenrechtlichen Normierungen infrage gestellt werden, dann ist die richtige Quelle anzugehen. Auch das wird von manchen Kommentatoren gemacht, mitunter aber eben auch so, als ob die Instruktion als Interpret dies machen sollte – Gesetzgeber aber ist der Papst. – Etwas Anderes ist es zu sagen, dass mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Klärung von der inneren Verbindung von Weihe und Jurisdiktion auch eine Verengung in Kauf genommen wurde, die es uns derzeit alles andere als leicht macht – so ich es recht sehe – die Themen rund um „Leitung“ im Sinn des Konzils (vgl. blog-Beitrag 17 [https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xvii])und „leiten“ im Sinn des „Managens“ auseinander zu halten. Angesichts der meist aufgeheizten Debatten wird dann oft schon übersehen, wie viele Einrichtungen etc. in unserer Kirche und auch Diözese von Frauen geleitet und verantwortet werden.

[2] Organisationstheoretisch würde hier wohl „delegieren“ stehen, doch ist dies – ähnlich wie „Leitung“ innerkirchlich inhaltlich anders als im üblichen Sprachgebrauch besetzt und bedeutet dann – um es in einer Analogie zu sagen: der Bischof kann etwa manche seiner Leitungsfunktionen an Vikare „delegieren“, die dann diese rechtsgültig ausüben [vgl. „General-Vikar“]. „Delegiert“ werden kann im kirchenrechtlichen Kontext also wenn es um Fragen der Leitung (wieder im kirch[enrecht]lichen Sinn) geht nur an geweihte Amtsträger. – Ob dies Sinn macht und angegangen werden soll, braucht eine Debatte, keine Frage. Darüber hinaus wäre es auch an der Zeit, mal die prinzipielle Frage zu stellen, ob Begriffe nicht sinnvollerweise innerhalb des kirchlichen Rahmens und außerhalb desselben möglichst dasselbe bedeuten sollten, um nicht – wie im Fall des Begriffs „Leitung“ oder auch „Delegation“ Streit hervorzurufen, obwohl nicht dasselbe gemeint ist …

[3] Manche Rückfragen an mich betrafen etwa dieses Thema: Darf der Pfarrer von sich aus manche Vollmachten anderen erteilen? „Was denn sonst?“ war meine verblüffte Antwort – „Er kann seinen Dienst ja sonst nicht in dieser Verantwortung leben.“

[4] Vgl. zu diesem Gedanken die nach wie vor sehr hilfreich Priorisierungen, die Klaus Hemmerle und Wilhelm Breunig schon 1982 unter dem Titel „Wie heute als Priester leben? Versuch einer geistlichen Orientierung“ in der pwb Sonderdrucke-Reihe (Nr.18) herausgegeben haben. 10 Prioritäten legen die beiden vor, die meines Erachtens zeitlos sind (nicht nur, weil sie in mehrere Sprachen übersetzt wurden, 2017 wurden sie in überarbeiteter Form zum wiederholten Mal aufgelegt). Diese Priorisierungen gelten zweifelsohne analog für alle pastoralen Dienste. Der gesamte ursprüngliche Text, der unter https://www.klaus-hemmerle.de/de/werk/wie-als-priester-heute-leben.html (10.8.2020) abrufbar ist, hält folgende Priorisierungen bereit und macht deutlich, wie sehr dieses Tun ein geistliches ist:

  1. Wichtiger ist, wie ich als Priester lebe, als was ich als Priester tue.
  2. Wichtiger ist, was in mir Christus tut, als was ich selber tue.
  3. Wichtiger ist, dass ich die Einheit im Presbyterium lebe, als dass ich in meiner Aufgabe allein aufgehe.
  4. Wichtiger ist der Dienst des Gebetes und des Wortes als der Dienst an den Tischen.
  5. Wichtiger ist, die Mitarbeiter geistlich zu begleiten, als möglichst viele Arbeiten selbst und allein zu tun.
  6. Wichtiger ist, an wenigen Punkten ganz und ausstrahlend da zu sein, als an allen Punkten eilig und halb.
  7. Wichtiger ist Handeln in Einheit als noch so perfektes Handeln in Isolation. Also: Wichtiger ist Zusammenarbeit als Arbeit, wichtiger communio als actio.
  8. Wichtiger, weil fruchtbarer, ist das Kreuz als die Effektivität.
  9. Wichtiger ist die Offenheit fürs Ganze (also für die ganze Gemeinde, fürs Bistum, für die Welt-kirche) als noch so wichtige partikuläre Interessen.
  10. Wichtiger ist, dass allen der Glaube bezeugt wird, als dass alle herkömmlichen Ansprüche be-friedigt werden.

[5] So etwa habe ich zu einem Pfarrgemeinderat mal gesagt: wie ein Pfarrfest organisiert wird, muss nicht Thema einer Pfarrgemeinderatssitzung sein, an der ich teilnehmen muss …

instruiert werden – XX

20. Zwischenbemerkung zur Debattenkultur in der Kirche

Da auch die Kirche aus Menschen gebildet wird, werden in ihr ähnliche Vorgänge bemerkt, wie es sie auch in der Gesellschaft gibt. „Nichts Menschliches ist uns fremd …“ Daher erlaube ich mir an dieser Stelle ein paar nachdenkliche Gedanken niederzuschreiben, wie ich – unter anderem ob der Instruktion – die innerkirchliche Debattenkultur erlebe. Mir geht nämlich – um es von hinten aufzuzäumen – weitgehend das Ringen miteinander ab.

Wenn ich das so schreibe, muss gleich mal eine weitere Zwischenbemerkung gemacht werden: da ich Mann und auch noch dazu Bischof bin, kann es – jedenfalls kommt es mir mitunter schon so vor – zu einer „Hermeneutik des Verdachts“ kommen. „Kann denn aus Rom – überhaupt – was Gutes kommen?“ Oder: „Kann denn ein Argument eines geweihten Amtsträgers als solches überhaupt ernstgenommen werden, da er es doch aus einer Machtposition heraus vorträgt?“ Oder: wiewohl mitunter in Erinnerung gerufen wird, dass auch Geweihte Menschen sind[1], werden diese in Debatten von vorherein auf den Stuhl des Lehramts gesetzt – und man wundert sich [genüsslich?], dass sie dort oben sitzen, indem alles mit diesen und nicht den Ohren gehört wird, die der Zusammenhang und die Situation nahelegen.[2] Wo sind wir hingekommen – und wie not doch wirklich uns als Glieder des Volkes Gottes das tun würde, was Johannes Paul II. in „Novo millenio ineunte“ 43ff. einfordert (siehe Beitrag 17[3])!

Ähnliches Hickhack – scheinbar ohne wirklich aufeinander zu hören – wird uns medial und verstärkt durch die sogenannten neuen „sozialen Medien“ frei Haus geliefert: da wird in Überschriften was ganz anderes insinuiert als dann in den darunter stehenden Artikeln wirklich steht, einfach deswegen, weil „Klicks“ zählen und nicht Inhalte? Da wird vereinfacht Position gegen Rom oder auch eine Vertreterin der Kirche bezogen, nur weil sie eben so denkt und nicht anders usw. Keine Angst: auch ich ärgere mich immer wieder über so manche Äußerungen, doch hoffe ich auch, dass ich – auch in diesen meinen Beiträgen – nicht über andere „herziehe“, sondern sachlich bleibe und nicht nur jene bzw. jenes zu Wort kommen lasse, die mir meine Meinung stützen. So zu leben bedeutet eben – siehe die Beiträge zu diesem blog – komplexer zu antworten als bloß schwarz-weiß zu malen, zu polarisieren und eine Meinung öffentlich an den Pranger zu stellen. Ich kann mir auch vorstellen, dass mitunter manches – wirklich aus innerer Not geschrieben – den Bogen des distanzierten Reflektierens überspannt, ja überspannen muss, um gehört, um gelesen zu werden, um verkrustete Strukturen aufzubrechen; gerade wenn es um das Thema Missbrauch geht ist dies nur allzu verständlich. Dennoch: auch dort bleibt die Pflicht zur Differenzierung, will man nicht einfach populistisch sein. Und – verzeihen Sie mir meine Zwischenfrage: „Mit welchem Ohr haben Sie nun den letzten Satz gehört?“ In Gesellschaft und Kirche ist wirklich, so nehme ich wahr, das Zuhören abhanden gekommen bis hin zur bitteren Frage meinerseits, ob ich es aushalte, ob wir es überhaupt noch aushalten, dass unter Umständen eine andere Meinung „mein Lehramt“ ergänzt – von Infragestellung rede ich ja gar nicht? Es ist wahrlich ein schwerer Weg, der gemeinsam zu gehen ist und gegangen werden muss, wenn unterschiedliche Blickwinkel und damit auch Standpunkte nicht als sich von vornherein ausgrenzend, sondern ergänzend interpretiert werden wollen/sollen. Dies aber ist, so erfahre ich es, eigentlich alltägliche Arbeit in jedweder Art von Beziehung und Miteinander. Gerade für Glaubende gilt: es gibt so viele Wege zu Gott wie es Menschen gibt[4] und damit gilt auch, dass nicht mein Weg der allein seligmachende ist und der einzige, auf dem alle voranzugehen hätten. Das macht meinen Dienst in der Kirche alles andere als leicht, doch darf, nein muss ich vertrauen, dass wir alle auf unseren je eigenen Wegen unterwegs sind zu Christus, dem eigentlichen Ziel unseres Daseins. Und darum soll und muss es uns gehen! Also: bitte „ent-rüstet Euch“ in Eurer Sprache und damit haltet Euch fern von Angriffigkeit und plumpen Verdächtigungen bzw. Drohungen wie etwa „Laien dürfen zwar alles tun, aber nichts entscheiden“ usw.

[1] Ich beziehe mich mit diesen Zeilen auf Argumentationen im Buch von Wunibald Müller: Verbrechen und kein Ende?: Notwendige Konsequenzen aus der Missbrauchskrise, Würzburg 2020, in dem er unter anderem – sehr positiv – einlädt, sich die Machthaber (der Kirche und wohl auch dieser Welt) „nackt“ vorzustellen – im Anschluss an des Kaisers neue Kleider. Andererseits wird eine Bemerkung von Kardinal Marx zum Thema Frauenbeteiligung an Debatten in der Bischofskonferenz mit dem Hinweis abgetan – ich überzeichne -, dass diese „typisch klerikal“ sei, da sie ja von einem Kardinal vorgetragen werde, der als solcher die derzeitige Lehre der Kirche vorträgt, was im übrigen von seinem Amt ja auch verlangt wird (vgl. Position 1685ff. in der kindle-Version dieses Buches) – und weil er nicht in einem Atemzug das Kirchenrecht infrage stellt ist dies gleich mal eine „Marginalisierung der Rolle der Frauen in der Kirche“. – In ähnlicher Weise erging es mir mit einem im besten Sinn des Wortes Kritiker der „anderen Seite“: am Festtag unseres Diözesanjubiläums gab es in der Stadt Graz unterschiedliche Bühnen zu verschiedenen Zukunfts-Fragen der Gesellschaft. Auf der Bühne, deren Inhalt „Grenzen und die prinzipiellen Möglichkeit sie zu überschreiten“ war, gab es eine halbe Stunde zum Themenbereich „Kirche und Homosexualität“. Auf dem Podium Alfons Haider, ein bekannter TV-Moderator und bekennender Homosexueller und ich. Wie gesagt: es ging dort um die Grenzen. In einem darauf folgenden Kommentar der Wochenzeitung „deutsche Tagespost“ wurde scheinbar der Kontext nicht ganz ernstgenommen, sondern lediglich nachgefragt, wieso es denn heutzutage – ich zitiere aus dem Gedächtnis – nicht einmal mehr Bischöfen der Kirche gelänge die katholische Ehelehre zu verteidigen? Dies wurde angefragt, weil Haider dort eben auch die Sehnsucht deponierte, als Homosexueller eine – kirchliche – Ehe schließen zu wollen.

[2] Weil das Familienreferat der Diözese – um ein Beispiel zu nennen – einen, und das ist in der Konzeption deutlich sichtbar, Informationstag veranstalten will zu Fakten rund um Homosexualität – und diesen noch dazu in einem Raum, der zu unserem Priesterseminar gehört (als einem unserer innerkirchlichen größeren Veranstaltungsräume für Seminare in Graz), wurden große Geschütze der Infragestellung der Rechtgläubigkeit aufgefahren.

[3] https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xvii

[4] vgl. ein Interviewbuch von Peter Seewald mit dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger – die genaue Zitation finde ich auf die Schnelle nicht.

Da auch die Kirche aus Menschen gebildet wird, werden in ihr ähnliche Vorgänge bemerkt, wie es sie auch in der Gesellschaft gibt. „Nichts Menschliches ist uns fremd …“ Daher erlaube ich mir an dieser Stelle einiges Nachdenkliche niederzuschreiben, wie ich – unter anderem ob der Instruktion – die innerkirchliche Debattenkultur erlebe. Mir geht nämlich – um es von hinten aufzuzäumen – weitgehend das Ringen miteinander ab.

Wenn ich das so schreibe, muss gleich mal eine weitere Zwischenbemerkung gemacht werden: da ich Mann und noch dazu Bischof bin, kann es – jedenfalls kommt es mir mitunter schon so vor – zu einer „Hermeneutik des Verdachts“ kommen. „Kann denn aus Rom – überhaupt – was Gutes kommen?“ Oder: „Kann denn ein Argument eines geweihten Amtsträgers als solches überhaupt ernstgenommen werden, da er es doch aus einer Machtposition heraus vorträgt?“ Oder: wiewohl mitunter in Erinnerung gerufen wird, dass auch Geweihte Menschen sind, werden diese in Debatten von vorherein auf den Stuhl des Lehramts gesetzt – und man wundert sich [genüsslich?], dass sie dort oben sitzen, indem alles mit diesen und nicht den Ohren gehört wird, die der Zusammenhang und die Situation nahelegen.[1] Wo sind wir hingekommen – und wie not doch wirklich uns als Glieder des Volkes Gottes das tun würde, was Johannes Paul II. in „Novo millenio ineunte“ 43ff. einfordert (siehe Beitrag 17[2])!

Ähnliches Hickhack – scheinbar ohne wirklich aufeinander zu hören – wird uns medial und verstärkt durch die sogenannten neuen „sozialen Medien“ frei Haus geliefert: da wird in Überschriften was ganz anderes insinuiert als dann in den darunter stehenden Artikeln wirklich steht, einfach deswegen, weil „Klicks“ zählen und nicht Inhalte? Da wird vereinfacht Position gegen Rom oder auch eine Vertreterin der Kirche bezogen, nur weil sie eben so denkt und nicht anders usw. Keine Angst: auch ich ärgere mich immer wieder über so manche Äußerungen, doch hoffe ich auch, dass ich – auch in diesen meinen Beiträgen – nicht über andere „herziehe“, sondern sachlich bleibe und nicht nur jene bzw. jenes zu Wort kommen lasse, die mir meine Meinung stützen. So zu leben bedeutet eben – siehe die Beiträge zu diesem blog – komplexer zu antworten als bloß schwarz-weiß zu malen, zu polarisieren und eine Meinung öffentlich an den Pranger zu stellen. Ich kann mir auch vorstellen, dass mitunter manches – wirklich aus innerer Not geschrieben – den Bogen des distanzierten Reflektierens überspannt, ja überspannen muss, um gehört, um gelesen zu werden, um verkrustete Strukturen aufzubrechen; gerade wenn es um das Thema Missbrauch geht ist dies nur allzu verständlich. Dennoch: auch dort bleibt die Pflicht zur Differenzierung, will man nicht einfach populistisch sein. Und – verzeihen Sie mir meine Zwischenfrage: „Mit welchem Ohr haben Sie nun den letzten Satz gehört?“ In Gesellschaft und Kirche ist wirklich, so nehme ich wahr, das Zuhören abhanden gekommen bis hin zur bitteren Frage meinerseits, ob ich es aushalte, ob wir es überhaupt noch aushalten, dass unter Umständen eine andere Meinung „mein Lehramt“ ergänzt – von Infragestellung rede ich ja gar nicht? Es ist wahrlich ein schwerer Weg, der gemeinsam zu gehen ist und gegangen werden muss, wenn unterschiedliche Blickwinkel und damit auch Standpunkte nicht als sich von vornherein ausgrenzend, sondern ergänzend interpretiert werden wollen/sollen. Dies aber ist, so erfahre ich es, eigentlich alltägliche Arbeit in jedweder Art von Beziehung und Miteinander. Gerade für Glaubende gilt: es gibt so viele Wege zu Gott wie es Menschen gibt[3] und damit gilt auch, dass nicht mein Weg der allein seligmachende ist und der einzige, auf dem alle voranzugehen hätten. Das macht meinen Dienst in der Kirche alles andere als leicht, doch darf, nein muss ich vertrauen, dass wir alle auf unseren je eigenen Wegen unterwegs sind zu Christus, dem eigentlichen Ziel unseres Daseins. Und darum soll und muss es uns gehen! Also: bitte „ent-rüstet Euch“ in Eurer Sprache und damit haltet Euch fern von Angriffigkeit und plumpen Verdächtigungen bzw. Drohungen wie etwa „Laien dürfen zwar alles tun, aber nichts entscheiden“ usw.

[1] Weil das Familienreferat der Diözese – um ein Beispiel zu nennen – einen, und das ist in der Konzeption deutlich sichtbar, Informationstag veranstalten will zu Fakten rund um Homosexualität – und diesen noch dazu in einem Raum, der zu unserem Priesterseminar gehört (als einem unserer innerkirchlichen größeren Veranstaltungsräume für Seminare in Graz), werden die großen Geschütze der Infragestellung der Rechtgläubigkeit aufgefahren.

[2] https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xvii

[3] vgl. ein Interviewbuch von Peter Seewald mit dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger – die genaue Zitation finde ich auf die Schnelle nicht.

instruiert werden – XIX

19. Leitung

Die folgenden Ausführungen sind eine Antwort auf die Frage, was in dogmatischer und kirchenrechtlicher Perspektive ‚Leiten in der Kirche‘ heißt. Im Zuge unserer Diözesanreform und Kirchenentwicklung waren diese Gedanken von Univ.Prof. Dr. Bernhard Körner, Dr. Gerhard Hörting und Dr. Bernd Oberndorfer leitend für unsere Umsetzungen in den Strukturen[1]. Im Zusammenhang mit diesem blog und damit mit der Instruktion scheint es mir wichtig, dieses Verständnis im Hinterkopf zu haben, um damit nicht „der Versuchung“ zu erliegen, mit einem bloßen „organisationstheoretischen“ Verständnis von „Leitung“, das unsere Sprache üblicher Weise prägt, an die Lektüre zu gehen. Auch wenn ich unter Nr. 18[2] die in der Instruktion vorgegebene Reihenfolge infragestelle, halte ich mich dennoch in meinen Gedanken am Fortgang der Instruktion fest, da ich meine, die Vorzeichen nach den Überlegungen im eben geleisteten Zwischenschritt[3] entsprechend gesetzt zu haben.

 

Dass Christus zur Geltung kommt – die Aufgabe der Kirche

Strukturwandel, Verantwortung aller und Leitung in der Kirche

 

Die Kirche befindet sich in einem Strukturwandel, für den es verschiedene Ursachen gibt. Einerseits bildet sich in der Kirche der Wandel ab, was auch in der Gesellschaft zu beobachten ist. Andererseits gibt es ‚hauseigene‘ Faktoren: Rückgang der Zahl der Katholikinnen und Katholiken; Priestermangel, breitgestreute Mitarbeit der Laien. – Das Kirchen-Bewusstsein und die Identifikation mit der Kirche sind aus verschiedenen Gründen geschwächt. – Das Verhältnis zu Autoritäten hat sich auch in der Kirche geändert: formale Autorität hat einen schweren Stand; Menschen, die glaubwürdig für den Glauben eintreten, wird Autorität zugesprochen. – Vor diesem Hintergrund kommt es innerhalb der Diözese zu Modifikationen der kirchlichen Struktur auf der sog. ‚mittleren Ebene‘[4]. Dafür gelten die folgenden Überlegungen zum Thema ‚Leitung‘.

 

  1. Zuerst und vor allem: Wozu es die Kirche gibt

„Der einzige Auftrag der Kirche ist, Jesus Christus den Menschen gegenwärtig zu machen. Sie muß ihn verkünden, ihn zeigen, ihn allen schenken. Alles übrige ist, wie gesagt, reine Zutat. (Henri de Lubac).[5]

Mit diesen Worten greift der Konzilstheologe Henri de Lubac auf, womit das Konzil seine Ausführungen über die Kirche beginnt: „Christus ist das Licht der Völker“ (LG 1). Und die Aufgabe der Kirche ist es, dass er durch sie in der Geschichte gegenwärtig und wirksam wird. Oder umgekehrt: Die Kirche ist das Sakrament des Heiles, d.h. der Gemeinschaft mit Gott und der darin begründeten Einheit der Menschheit.

 

  1. Die Kirche als Zeichen und Werkzeug des Heiles

Diesen Auftrag kann die Kirche erfüllen, weil sie untrennbar zugleich eine sichtbare Institution und eine geistliche Wirklichkeit ist. Die sichtbare Institution kann beobachtet und beschrieben werden, die geistliche Wirklichkeit kann nur im Glauben erkannt werden. Weil sie Institution und geistliche Wirklichkeit ist, gibt es Übereinstimmungen mit und Unterschiede zu anderen gesellschaftlichen Institutionen – nicht zuletzt in der Leitung.

In unserer Gesellschaft wird jede Institution getragen von Menschen, die für diese Institution Verantwortung und in ihr verschiedene Funktionen übernehmen. Dazu gehört auch die Leitung. Unter ‚leiten‘ versteht man im Allgemeinen, Maßnahmen setzen, die notwendig sind, damit eine Gemeinschaft bzw. Institution ihrem Auftrag bzw. Ziel entsprechend handelt und wirksam wird. Selbstverständlich gibt es bei größeren Einheiten neben der Gesamtleitung auch die Leitung von Teilbereichen.

Das bisher Gesagte gilt grundsätzlich auch für die Kirche. Was Leitung der Kirche betrifft, gibt es aber markante Unterschiede. Sie hängen damit zusammen, dass die Kirche nicht nur eine Institution, sondern auch eine geistliche Wirklichkeit ist, die im Glaubensbekenntnis heilig genannt wird. Heilig ist sie nicht, weil ihre Mitglieder ohne Fehler sind, sondern weil in der Kirche und durch sie Christus gegenwärtig ist bzw. werden soll. Er ist, wie es im Neuen Testament heißt, das Haupt der Kirche (Kol 1,18). Er ist es, der eigentlich die Kirche leitet. Der menschliche Beitrag zur Leitung besteht darin, dass Menschen berufen werden, durch die Christus in der Kirche und durch sie in der Gesellschaft zur Geltung kommt. Was heißt das genau?

 

  1. Leitung in der Kirche

Was ‚leiten‘ im theologischen Sinn heißt – dafür finden sich die entscheidenden Anhaltspunkte bereits im Neuen Testament, z.B. im Stichwort ‚Apostel‘. Dem Wortsinn nach ist der Apostel ein Gesandter, der mit der Autorität dessen ausgestattet ist, der ihn sendet. Er soll also die Autorität Jesu zur Geltung bringen.

Dieser apostolische Dienst ist in der Kirche heute den Bischöfen und Priestern anvertraut.[6] Sie werden durch die Weihe beauftragt und ermächtigt, ‚in persona Christi capitis‘ zu handeln[7]. Das heißt: Sie sollen bevollmächtigte Zeugen Jesu Christi sein und in ihrem Handeln das Handeln Jesu verbindlich zur Geltung bringen. Darin besteht der Kern eines theologischen Verständnisses von Leitung. Dem entsprechen bestimmte Kompetenzen, in denen die Leitungsbefugnis konkret wird wie z.B. Vorsitz in der Feier der Eucharistie, die sowohl für die Gemeinde wie auch für den Priester „Quelle und Höhepunkt“ (LG 11) ihres Lebens ist.

Dadurch, dass der priesterliche Dienst durch ein Sakrament, das Sakrament der Weihe übertragen wird und als Leitung als Handeln ‚in persona Christi capitis’ verstanden wird, soll deutlich werden: Die Kirche wird – erstens – eigentlich von Christus, dem auferstandenen und erhöhten Herrn geleitet. Und – zweitens – der Vorgang der Leitung besteht, wie es Hermann-Josef Pottmeyer treffend formuliert hat[8], nicht darin, dass der geweihte Amtsträger an die Stelle eines abwesenden Christus tritt, sondern dass sein Dienst sakramental wirksamer Verweis auf den gegenwärtigen Herrn der Kirche, Jesus Christus, ist. Das setzt ein menschlich und geistlich glaubwürdiges Leben voraus.[9]

Leitung im theologischen Sinn kommt in erster Linie dem Bischof zu, und in seinem Auftrag, Priestern, denen eine entsprechende Verantwortung (z.B. für eine Pfarre) übertragen wird. Dabei ist für das rechte Verständnis dieser Form der Leitung die Unterscheidung wichtig zwischen dem, was der Geweihte ist, und dem, was er tut. Der Dienst der Leitung, den der geweihte Amtsträger ausübt, besteht nicht nur in bestimmten Funktionen, sondern auch in dem, wofür er als geweihter Bischof oder Priester sakramental steht. Beim Pfarrer konkretisiert sich das, was er als geweihter Amtsträger ist, in bestimmten Leitungsfunktionen; er ist nicht nur Spiritual.

 

  1. Gemeinsame und spezifische Verantwortung für das Reich Gottes und die Kirche

Der Dienst des geweihten Amtes zielt darauf, alle Getauften in der Kirche zu fördern und zu ermutigen, Ihre Verantwortung wahrzunehmen, dass die Kirche auf Christus und sein Evangelium ausgerichtet wird und von ihm her lebt und handelt. Ebenso zielt der Dienst des Amtes darauf, dass die verschiedenen Charismen, Verantwortungen und Dienste in Einheit wirken. So soll die Kirche – entsprechend dem biblischen Bild vom anvertrauten Vermögen (vgl. Mt 25,14–30) – eine Gemeinschaft werden, in der alle ihre ihnen vom Herrn der Kirche für den Dienst am Reich Gottes anvertrauten Fähigkeiten, Charismen und Begabungen einbringen können und einbringen. Sie sollen sich als Verwalter verstehen und das gläubige Leben aller fördern: »Wir wollen ja nicht Herren über euren Glauben sein, sondern wir sind Helfer zu eurer Freude; denn im Glauben seid ihr fest verwurzelt« (2 Kor 1,24). Diesen Dienst an der Freude und der Verwurzelung im Glauben sollen also alle Getauften leisten – allen ist die Ausbreitung des Reiches Gottes anvertraut.

Die Sorge dafür, dass diese gemeinsame Berufung und die je spezifische Berufung aller vor Ort, in Pfarren und in anderen pastoralen Bereichen tatsächlich gelebt wird und zur Geltung kommt, wird geeigneten Frauen und Männern anvertraut. Dazu gehören auch organisatorische Maßnahmen, die dem Leben und der Gestaltwerdung der Kirche vor Ort dienen. Diese ‚Verantwortlichen vor Ort‘ [für die eine passende Bezeichnung ist noch gefunden werden muss] geben der Kirche ein Gesicht und eine Adresse.

 

  1. Einige konkrete Konsequenzen

Unter einem theologisch-strukturellen Blickwinkel verdient die Beziehung zwischen dem geweihten Amtsträger und den ‚Verantwortlichen vor Ort‘[10] besondere Beachtung. Dazu einige Aspekte:

–    die Verantwortlichen vor Ort können – je nach den Gegebenheiten – Einzelpersonen, aber auch kleine Teams sein

–    ihre Aufgaben, Kompetenzen und die Verantwortung gegenüber den Menschen vor Ort und dem geweihten Amtsträger müssen genau umschrieben werden

–    ebenso muss die Verantwortung des Priesters gegenüber den Verantwortlichen vor Ort und den übergeordneten Stellen genau umschrieben werden

–    eine angemessene Vorbereitung und Einübungsphase für die so entstehende Gruppe ist unumgänglich

–    alle Treffen derer, die in einem bestimmten Bereich Verantwortung für die Seelsorge haben, werden nicht im Organisatorischen bleiben, sondern durch Gebet, gemeinsame Unterscheidung der Geist und die Feier der Eucharistie geprägt sein

 

  1. Vorrangige Aufgaben in der Diözese

–    Grundsätzlich: Der Prozess einer strukturellen Neuordnung muss weiterentwickelt werden zu einem ganzheitlichen Prozess, in dem die Kirche tiefer verstanden wird und ihre Sendung lebt.

–    Vorrangig ist die Bewusstseinsbildung bei allen Getauften, bei den Hauptamtlichen und bei den geweihten Amtsträgern: Zu vermeiden sind eine zu pragmatische Sicht der Kirche, eine Nivellierung des Amtes ebenso wie jeder Klerikalismus – da muss in der Fortbildung ‚kräftig investiert‘ werden.

–    Ziel jeder Strukturplanung: Es soll ein Netz von Menschen und Orten geben, an denen durch das Wort Gottes, die Sakramente und die Diakonie in der Einheit der Glaubenden Christus und sein Evangelium zur Geltung kommen. Das wird nicht ohne Bekehrung gehen.

–    Es braucht die Einübung einer gemeinschaftlichen Spiritualität (Johannes-Paul II. in Novo Millennio ineunte[11]), die dem Macht-, Prestige- und Konkurrenzdenken entgegenwirkt und die Gegenwart des Herrn möglich macht, ‚wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt‘ (vgl. Mt 18,20) sind.

Der Geist, um den es geht, kommt im „Tagesgebet zur Auswahl Nr. 142 gut zum Ausdruck: „Gott. Du hast uns verschiedene Gaben geschenkt. Keinem gabst du alles – und keinem nichts. Jedem gibst du einen Teil. Hilf uns, dass wir uns nicht zerstreiten, sondern einander dienen mit dem, was du einem jeden zum Nutzen aller gibst.“

[1] Anmerkung von mir: sie wurden geschrieben als wir klären wollten, was denn nun „Leitung“ im Seelsorgeraum bedeutet, was denn nun Aufgaben der „Regionalkoordinatoren“ sind. In diesem Kontext sind auch die Abschnitte 5-6, v.a. 5, zu lesen und zu verstehen.

[2] https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xvii

[3] ebd.

[4] Hier wird deutlich, in welchem Zusammenhang damals diese Überlegungen geschrieben und ins Gesamtkonzept der Kirchenentwicklung und Diözesanreform eingesetzt wurden.

[5] Henri de Lubac: Die Kirche. Einsiedeln: Johannes-Verlag 1968, 197.

[6] Die Rolle des Diakons wird in diesen Überlegungen nicht bedacht. Das erscheint dadurch gerechtfertigt, weil sie, wie das Zweite Vatikanum festlegt, nicht für den priesterlichen Dienst, sondern für die Dienstleistung geweiht werden (LG 29).

[7] So z.B. in der Kirchenkonstitution Lumen gentium 21 und im Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis 2 und öfter.

[8] Vgl. Hermann J. Pottmeyer, Amt als Dienst – Dienst als Amt, in: Lebendige Seelsorge 33(1982), 153-158; hier: 157.

[9] Das klingt in der Liturgie der Priesterweihe immer wieder an – nicht zuletzt bei der Überreichung von Kelch und Patene: „Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst, und stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes.

[10] Hinweis von mir: darunter sind Ansprechpersonen „vor Ort“ zu verstehen – in den Dörfern, in kleinen Pfarren usw., die das kirchliche Leben im Blick haben. In Afrika wären damit etwa die „Katechisten“ zu vergleichen, in unseren Breiten waren und sind dies etwa „Vorbeter“.

[11] Johannes-Paul II.: Novo millennio ineunte (1999), Nr. 43.

instruiert werden – XVIII

18. Hirtensorge ist orientiert auf das Miteinander christlicher Gemeinschaft

Wenn ich es recht sehe, wird der erste Satz des neuen Abschnitts VIII. (62-93) der Instruktion leicht missverstanden. Aus mehreren Gründen wie mir scheint: mit „riferimento fondamentale“ bzw. „grundlegender Bezugspunkt“ (62) kann nicht nur die einfache „Gleichung“ verstanden werden, dass etwa wer „Pfarre“ sagt auch „Pfarrer“ [denn Pfarrer gibt es nur für Pfarren] mitzudenken hat[1], sondern auch, dass alles auf den Pfarrer hin zu orientieren sei – oder eben, um es im Bild auszudrücken, nichts gelebt werden dürfe in der Pfarre ohne dass es „über den Schreibtisch des Pfarrers“ gewandert wäre.[2] Letzteres würde zu einem idealisierten und heillos überhöhten Priesterbild führen, das mit Fug und Recht „klerikal“ benannt werden kann und abzulehnen ist.[3]

Und gleich danach ist wieder einmal vom „leiten“ die Rede: die Aufgabe des Pfarrers in Gemeinschaft mit den anderen Priestern und des Bischofs bestehe darin, „die Pfarrei so zu leiten, dass sie ein überzeugendes Zeichen christlicher Gemeinschaft ist“ (62). Im englischen, französichen wie auch italienischen Text ist im selben Zusammenhang von „organisieren“ die Rede. Es geht also in de „Organisation [des Lebens] von Pfarre“ um ihre Sendung – noch dazu wenn in Lumen gentium 1 – interessanterweise wird hier nicht der Beginn zitiert [Anm. 83], sondern hingewiesen auf LG 26, wo vom Bischof die Rede ist[4] – die Kirche gleichsam als das Sakrament bezeichnet wird, „das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“. „Ziel“ also kirchlich-sakramentalen Lebens ist das Zeugnis lebendiger Gemeinschaft. Hirtensorge ist es demnach, communio zu stiften durch die Verkündigung des Wortes Gottes und die Feier der Sakramente und zur communio anzuleiten. – Nur auf diesem Hintergrund sind m.E. die nun folgenden Anmerkungen zum gemeinschaftlichen Lebensstil der Priester (63-65) zu verstehen: das, was für alle Getauften gilt haben die Amtsträger in der Kirche in irgendeiner Art und Weise auch selbst zu leben und dadurch zu bezeugen. Oder noch schärfer: nur so sind bzw. können sie wahre Hirten [sein]!?[5]

Ich werde auf unsere Situation zurück verworfen und stelle mir nun die Frage, wie denn dieses fundamentale aufeinander verwiesen Sein unter den Priestern wirklich gelebt wird. Oder anders herum: Wenn Priester in der Kirche mit dem speziellen Auftrag gesendet werden, im Dienst an der Gemeinschaft unter den Gläubigen zu wirken, sind sie nicht ohne dieses lebendige Zu- und Miteinander zu denken. Priester bin ich eben nicht für mich selbst, sondern – sakramental, zeichenhaft stelle ich eben Christus als das eigentliche Haupt der Kirche („in persona Christi capitis“) dar und Haupt ohne Körper ist nicht „denkbar“, soll es lebendig sein – nur in Bezug auf die Menschen, mit denen ich kraft Taufe und Firmung gemeinsam unterwegs bin. Für mich jedenfalls verbietet allein dieser Gedanke jede Form überheblichen – „klerikalen“ Denkens und Gehabes. Wir sind in der Kirche aufeinander verwiesen mit unseren verschiedenen Diensten und Aufgaben in ihr. Gemeinsam sind wir gesendet, weil Taufe und Firmung uns alle „auf Augenhöhe“ unterschiedslos Gott gegenübertreten lässt; das geweihte Dienstamt versinnbildlicht lediglich, dass es uns allen eben immer um die Ausrichtung auf Christus, auf Gott zu gehen hat. Nur insofern (!) kann dann von der Einteilung in Kleriker versus Laien gesprochen werden. Ich weiß: die Art und Weise, wie dies gelebt wurde und wohl auch wird, trübt genau jenes Zeichen ein, für das Priester stehen sollen.[6] Es ist wirklich herausfordernd: Miteinander unterwegs zu sein und gleichzeitig in diesem Miteinander darum zu wissen, etwa durch die Sakramentenspendung [aber eben nicht nur durch die Funktion] auch das Haupt der Kirche zu repräsentieren, das eben nicht „aus uns selbst“ ist. Ich hoffe für mich, dass ich im persönlichen Aneignen dieser meiner Lebens-Spannung nie nachlassen werde und nie glaube, das rechte Maß darin auf immer gefunden zu haben.

[1] Auf diesen inneren Zusammenhang verweist – ich habe es schon einmal angedeutet – das Büchlein über die Diözesanreformen in der Diözese Poitiers: Reinhard Feiter – Hadwig Müller(Hg.): Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof? Ermutigende Erfahrungen der Gemeindebildung in Poitiers, Ostfildern 32010.

[2] Ehrlich gesagt: Anmerkung 82, die diesen Satz zu erläutern versucht ist nicht wirklich erhellend und klärend, noch dazu, wenn – in einer Instruktion [!], die eigentlich rechtliche Klarheit schaffen soll – auch noch gesagt wird, „je nach Kontext, in dem er in der vorliegenden Instruktion unter Berücksichtigung der kodikarischen Normen verwendet wird, hat der Begriff „Moderator“ verschiedene Bedeutungen“.

[3] vgl. u.a. https://www.katholisch.de/artikel/26411-nach-kritik-an-instruktion-ordensfrauen-staerken-deutsche-bischoefe (8.8.2020).
In die ähnliche Kerbe „Klerikalismus“ schlägt auch die Pfarrer-Initiative: https://www.katholisch.de/artikel/26428-monarchischer-klerikalismus-pfarrer-kritisieren-vatikan-instruktion (8.8.2020).

[4] vgl. aber das eben Gesagte zu Anmerkung 82 der Instruktion.

[5] Dieser Gedanke wird – für unsere Breiten ist dies eher lächerlich [und in Kritiken wurde auf dieses Faktum auch hingewiesen] – bis zur Feststellung durchgespielt, dass bei Fehlen anderer Möglichkeiten der Priester auch bei seiner Herkunftsfamilie wohnen kann. – Ich gebe zu, dass ich hier wirklich in extremis versuche den Gedankengang der Instruktion zu verstehen, der Zusammenhang legt dies aber doch nahe.

[6] In seinem neuesten Buch macht Wunibald Müller deutlich auf die Folgen verdunkelt gelebter Ideale aufmerkam: Verbrechen und kein Ende?: Notwendige Konsequenzen aus der Missbrauchskrise, Würzburg 2020. Und mit ihm ist berechtigter Weise die Frage zu stellen, was denn nun strukturell unserer Kirche dazu verhelfen kann (und muss), dass das Aufleuchten von communio nicht durch Sünde, Missbrauch jedweder Art von Amtsträgern verdunkelt wird?

instruiert werden – XVII

17. Zwischenschritt

In meinen Überlegungen bin ich nun an einem wichtigen Punkt angelangt, der mir einen Zwischenschritt nötig erscheinen lässt. Während in der Konzilskonstitution Lumen gentium der Weg gewählt wird, zunächst vom ganzen Volk Gottes zu sprechen und danach von den Diensten und Ämtern, vor allem dem Bischofsamt in ihm (Kapitel 2 spricht vom „Volk Gottes“ und erst Kapitel 3 von der „hierarchischen Verfassung der Kirche“) und auch das Kirchenrecht diesen Weg in seinem 2. Buch einschlägt (dort ist Teil 1 den „Gläubigen“ gewidmet, Teil 2 der Hierarchie) geht – leider (!) – die Instruktion den umgekehrten Weg, indem zunächst von den Diensten gesprochen wird, die die geweihten Amtsträger in der Kirche bzw. Pfarre leben – und auch hier in einer analogen Reihenfolge – und erst gegen Ende (in Abschnitt VIIIg) von den Laien – und hier eben eigentlich nur, auch aufgrund dieser Reihung, in Abgrenzung zu den anderen[1]. Wäre es nicht dem Denken nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil besser, nein: angebracht (!), zunächst vom „laos thou theou“ [„Volk Gottes“[2]] zu sprechen, zu dem alle gehören und in dem es unterschiedliche Dienste und (geweihte) Ämter gibt? Denn selbst dann wenn den Laien (vgl. 85) de „Weltcharakter besonders“ eigen ist, so sind alle im Volk Gottes zur gemeinsamen Sendung berufen, Kirche mitten in der Sendung hinein in diese unsere Welt aufzubauen, indem wir Salz sind für diese Welt (vgl. Mt 5,13-15). Anders herum ausgedrückt: es muss zunächst geklärt sein, wer wir sind, ehe die für dieses Miteinander einer Gruppe bzw. Gemeinschaft notwendigen Ordnungsprinzipien, Funktionen und Ämter beschrieben werden. Ich glaube, dass viele scharfe und harsche Reaktionen auf diesen eigentlich fast unverzeihlichen Fehler theologischen (und wohl auch oganisationssystematischen) Denkens zurückzuführen sind.

Es wäre – auch angesichts der ersten Abschnitte der Instruktion[3] ein leichtes, deren Gedanken als Auftrag zur Umkehr für das gesamte Volk Gottes zu beschreiben. Daraus erwachsen Aufgaben, zu denen bestimmte Personen, Frauen wie Männer, zeitlich begrenzt oder auf Dauer, geweiht oder nicht beauftragt werden [können] – dies auch deswegen, weil es unverzichtbare Aufgaben innerhalb des Volkes Gottes gibt, die um ihrer Sendung willen nicht fehlen dürfen, eine darunter ist die des Diakons, eine andere die priesterliche (und darunter wiederum die des Pfarrers). Vor diesen könnten – auch bei so mancher derzeit bestehender theologischen Ungeklärtheit[4] – verschiedene Dienste und Beauftragungen eingereiht benannt werden, die zum Leben der Kirche beitragen: ich denke hier keineswegs nur an liturgische Laiendienste[5], sondern an die vielen ehrenamtlich wie hauptamtlich Engagierten in anfordernden kirchlichen Sendungsaufträgen der Krankenbegleitung, ich denke an die tausenden die Religion unterrichten, ich denke an so viele Vorbeter die landauf- landab „kirchliches Leben“ „managen“, ich denke an die Mitarbeitenden der – organisierten – Caritas und all jene, die in einem synodalen Gremium[6] und an viele weitere, die in unserer Diözese der Sendung der Kirche „Gesicht“ verleihen.

Die in diesem Zusammenhang immer wieder aufs Neue aufflammende Debatte rund um die bloß beratenden Stimmrechte synodaler Gremien für den jeweils Vorsitzenden (vgl. can. 536§2 für den Pfarrgemeinderat, can. 514§1), die auch durch den Abschnitt Xb der Instruktion dann bestätigt wird, ist für demokratisch geprägte Personen ein Manko, zweifellos. Dass dies der einseitigen Macht-Ausübung und damit auch dem Missbrauch Vorschub leistet, wie es etwa die MHG-Studie nahelegt und auch Wunibald Müller in seinem neuen Buch bekräftigt[7], muss redlicher Weise angeführt werden. Andererseits haben wir es wohl auch oft schon verlernt, den Wert von „Beratung“ zu schätzen und dass es mitunter unverzichtbar ist, Entscheidungen aufgrund der Bedeutung des Amtes durch dieses zu treffen – nach Beratung und Anhörung und entsprechender Begründung, muss dann aber auch ergänzt werden. Ich denke hier etwa an die Pressekonferenz, die der österreichische Gesundheitsminister am 7. August dieses Jahres bei der Vorstellung der sogenannten „Corona-Kommission“ in seinem Ministerium gegeben hat, um die „Corona-Ampelregelung“ zu präsentieren. Die aus verschiedenen Experten und Vertretern der Bundesländer zusammengesetzte Kommission wird wöchentlich Empfehlungen abgeben zur Schaltung der Ampel für die Bezirke. Der Bundesminister ergänzte: „Die Fachexpertise ist da. Die wird eine klare Empfehlung vorgeben. Und die Schlussverantwortung für eine Entscheidung ist eine politische.“ Dies wohl auch deswegen, weil unterschiedliche Experten-Blickwinkel eben auch unterschiedliche Meinungen hervorbringen können und werden und in der Zusammenschau vieler Positionen verantwortlich zu entscheiden ist. Dass hiermit auch Macht verbunden ist, die verantwortungsvoll auszugestalten ist, versteht sich – Missbrauch ist freilich möglich. Aber es sichert eben auch ab, dass bloße Mehrheitsfindungen, die unter Umständen die Komplexität von Phänomenen nicht berücksichtigen können, etwa weil eben Fachleute für ihr Gebiet Expertisen vorweisen und dann andere Kriterien eventuell nicht einbeziehen müssen, nicht einfach zustande kommen.

Ein solches Vorgehen zu Entscheidungen unterschätzt keineswegs die Fachexpertise, die – und nun kehre ich zur Kirche zurück – Laien vorbringen und vorbringen müssen. „Abgesichert“ gegenüber verschiedenen Fällen von Missbrauch kann es meines Erachtens nur durch einen wirklich gelebten communialen Lebensstil, den zum einen Paulus in seinem Brief an die Gemeinde Philippi beschreibt (vgl. Phil 2,1-11): eines Sinnes zu sein „geht“ nur, wenn der eine die andere demütig wertschätzt – höher als sich selbst. Zum Anderen werde ich hier wiederum an Johannes Paul II. erinnert, der in seinem Apostolischen Schreiben „Novo millenio ineunte“ von der Notwendigkeit einer Spiritualität der Gemeinschaft spricht und diese dann für verschiedene Bereiche des Miteinanders im Leben der Kirche ausfaltet (NMI 43-45): „43. Die Kirche zum Haus und zur Schule der Gemeinschaft machen, darin liegt die große Herausforderung, die in dem beginnenden Jahrtausend vor uns steht, wenn wir dem Plan Gottes treu sein und auch den tiefgreifenden Erwartungen der Welt entsprechen wollen. Was bedeutet das konkret? Auch hier könnte die Rede sofort praktisch werden, doch es wäre falsch, einem solchen Anstoß nachzugeben. Vor der Planung konkreter Initiativen gilt es, eine Spiritualität der Gemeinschaft zu fördern, indem man sie überall dort als Erziehungsprinzip herausstellt, wo man den Menschen und Christen formt, wo man die geweihten Amtsträger, die Ordensleute und die Mitarbeiter in der Seelsorge ausbildet, wo man die Familien und Gemeinden aufbaut. Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet vor allem, den Blick des Herzens auf das Geheimnis der Dreifaltigkeit zu lenken, das in uns wohnt und dessen Licht auch auf dem Angesicht der Brüder und Schwestern neben uns wahrgenommen werden muß. Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet zudem die Fähigkeit, den Bruder und die Schwester im Glauben in der tiefen Einheit des mystischen Leibes zu erkennen, d.h. es geht um »einen, der zu mir gehört«, damit ich seine Freuden und seine Leiden teilen, seine Wünsche erahnen und mich seiner Bedürfnisse annehmen und ihm schließlich echte, tiefe Freundschaft anbieten kann. Spiritualität der Gemeinschaft ist auch die Fähigkeit, vor allem das Positive im anderen zu sehen, um es als Gottesgeschenk anzunehmen und zu schätzen: nicht nur ein Geschenk für den anderen, der es direkt empfangen hat, sondern auch ein »Geschenk für mich«. Spiritualität der Gemeinschaft heißt schließlich, dem Bruder »Platz machen« können, indem »einer des anderen Last trägt« (Gal 6,2) und den egoistischen Versuchungen widersteht, die uns dauernd bedrohen und Rivalität, Karrierismus, Mißtrauen und Eifersüchteleien erzeugen. Machen wir uns keine Illusionen: Ohne diesen geistlichen Weg würden die äußeren Mittel der Gemeinschaft recht wenig nützen. Sie würden zu seelenlosen Apparaten werden, eher Masken der Gemeinschaft als Möglichkeiten, daß diese sich ausdrücken und wachsen kann.

  1. Auf dieser Grundlage werden wir uns im neuen Jahrhundert mehr denn je dafür einsetzen müssen, jene Bereiche und Hilfsmittel zu erschließen und zu entwickeln, die gemäß den großen Richtlinien des II. Vatikanischen Konzils dazu dienen, die Gemeinschaft zu stützen und zu sichern. Muß man da nicht vor allem an die besonderen Dienste an der Gemeinschaft denken, wie etwa das Petrusamt und, in enger Beziehung zu ihm, die bischöfliche Kollegialität? Es handelt sich um Wirklichkeiten, die ihre Grundlage und ihren Bestand im Plan Christi für die Kirche haben, aber eben deshalb einer ständigen Überprüfung bedürfen, damit garantiert bleibt, daß sie wirklich vom Evangelium her inspiriert sind. Auch was die Reform der Römischen Kurie, die Organisation der Synoden und die Arbeitsweise der Bischofskonferenzen betrifft, ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil viel geschehen. Aber es bleibt sicherlich noch viel zu tun, um die Möglichkeiten dieser Werkzeuge der Gemeinschaft besser zum Ausdruck zu bringen. Sind diese doch heute besonders notwendig, da man unverzüglich und wirkungsvoll auf die Probleme antworten muß, mit denen sich die Kirche in den sich überstürzenden Veränderungen unserer Zeit auseinanderzusetzen hat.
  2. Die Räume der Gemeinschaft müssen im gesamten Leben jeder Kirche Tag für Tag auf allen Ebenen gepflegt und ausgeweitet werden. Hier muß die Gemeinschaft zum Strahlen kommen in den Beziehungen zwischen Bischöfen, Priestern und Diakonen, zwischen Hirten und dem ganzen Volk Gottes, zwischen Klerus und Ordensleuten, zwischen kirchlichen Vereinigungen und Bewegungen. Zu diesem Zweck muß man die vom Kirchenrecht zur Mitarbeit in der Teilkirche vorgesehenen Organe, wie die Priester- und Pastoralräte, immer besser zur Geltung bringen. Sie folgen zwar bekanntlich nicht den Kriterien der parlamentarischen Demokratie, weil ihre Arbeit Beratungs- und nicht Entscheidungscharakter hat; doch verlieren sie deshalb nicht an Bedeutung. Theologie und Spiritualität der Gemeinschaft bewirken nämlich ein wechselseitiges Zuhören zwischen Hirten und Gläubigen. Dadurch bleiben sie einerseits in allem, was wesentlich ist, a priori eins, und andererseits führt das Zuhören dazu, daß es auch in den diskutierbaren Fragen normalerweise ausgewogene und gemeinsam vertretbare Entscheidungen kommt.

Zu diesem Zweck müssen wir uns die alte pastorale Weisheit zu eigen machen, welche die Hirten, ohne jegliche Schmälerung ihrer Autorität, dazu ermutigte, das ganze Volk Gottes so weit wie möglich anzuhören. Bezeichnend ist, woran der heilige Benedikt den Abt des Klosters erinnert, wenn er ihn auffordert, auch die jüngsten Mitglieder zu befragen: »Der Herr offenbart oft einem Jüngeren, was das Bessere ist«.30 Und der heilige Paulinus von Nola mahnt: »Wir wollen an den Lippen aller Glaubenden hängen, weil in jedem Gläubigen der Geist Gottes weht«.

Wenn daher die Rechtsweisheit durch präzise Festlegung von Regeln für die Teilnahme die hierarchische Struktur der Kirche herausstellt sowie Versuchungen zu Willkür und ungerechtfertigten Ansprüchen abwehrt, so verleiht die Spiritualität der Gemeinschaft dem institutionellen Tatbestand eine Seele und leitet zu Vertrauen und Öffnung an, die der Würde und Verantwortung eines jeden Gliedes des Gottesvolkes voll entspricht.“[8]

Hand aufs Herz: wo leben wir dieses anspruchsvolle Programm? Sind wir nicht, mich eingeschlossen, versucht, ins einfachere „Ich hab dir was zu sagen …!“ abzugleiten, wer auch immer in der Kirche das sagen will?

[1] Noch fataler wird der Einwand, wenn die Überschrift von Kapitel VIII eben von der „Übertragung der Hirtensorge“ spricht und unter diesem Kapitel von den „Laien“ die Rede ist. Themenverfehlung, weil damit überdies der Eindruck erweckt wird, dass Laien nur „ob der Kleriker existieren“?!

[2] Der im Deutschen verwendete Begriff „Laie“ hat seinen Ursprung bekanntlich in diesem griechischen Begriff. Da er – leider (!) – darüber hinaus im üblichen Sprachgebrauch verwendet wird für Personen, die unwissend sind (vgl. etwa „Wer – anders als ein Fachmann – von einem Thema wenig versteht oder sich nicht intensiv damit beschäftigt hat, wird Laie genannt.“ – https://www.wissen.de/wortherkunft/laie), werden falsches Verständnis und Bilder gefördert, wenn innerkirchlich von „Laien“ die Rede ist. Dort ist es eine Ehrenbezeigung, denn Getaufte gehören zum Volk Gottes!

[3] Ob diese Abschnitte dem Wesen einer Instruktion entsprechen sei erneut angefragt, wie ich es schon an anderer Stelle meiner Bemerkungen getan habe.

[4] Hier etwa sei an nicht geweihte Ämter in der Kirche erinnert, die unter anderem auf der sogenannten „Amazonas-Synode“ erbeten wurde.

[5] Nebenbei: vom umgekehrten Denken sind bei diesen etwa auch die unseligen Debatten um das liturgische Kleid von Laien in so manchen Gegenden bei uns zu sehen. Die Allgemeine Einführung ins römische Messbuch wie auch die neue Grundordnung hierfür sind hier meines Erachtens eindeutig. – Interessant ist, dass bei Wortführern dieses Streits oftmals vergessen wird, wieso diese Debatte nicht auch für den Laiendienst der Ministranten (Messdiener) geführt wird, wollte er konsequent sein.

[6] Was in can. 511 von der Diözese gesagt ist („In jeder Diözese ist, sofern die seelsorglichen Verhältnisse es anraten, ein Pastoralrat zu bilden, dessen Aufgabe es ist, unter der Autorität des Bischofs all das, was sich auf das pastorale Wirken in der Diözese bezieht, zu untersuchen, zu beraten und hierzu praktische Folgerungen vorzuschlagen.“) wird ein wenig später vom kirchlichen Gesetzgeber auch für die Pfarren erinnert [can. 536 §1]: „Wenn es dem Diözesanbischof nach Anhörung des Priesterrates zweckmäßig scheint, ist in jeder Pfarrei ein Pastoralrat zu bilden, dem der Pfarrer vorsteht; in ihm sollen Gläubige zusammen mit denen, die kraft ihres Amtes an der pfarrlichen Seelsorge Anteil haben, zur Förderung der Seelsorgstätigkeit mithelfen.“ Hier seien die kirchenrechtlich sogar vorgeschriebenen Gremien in der Vermögensverwaltung nur kurz als weiteres Moment angeführt.

[7] Verbrechen und kein Ende?: Notwendige Konsequenzen aus der Missbrauchskrise, Würzburg 2020.

[8] http://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/apost_letters/2001/documents/hf_jp-ii_apl_20010106_novo-millennio-ineunte.html (8.8.2020)

instruiert werden – XVI

16. Seelsorgeräume

Das, was im Abschnitt VIIc. „pastorale Einheit“ (54-60) genannt wird, ist am ehesten dem gleichzusetzen, was wir in der Diözese Graz-Seckau als „Seelsorgeräume“[1] bezeichnen[2]. Da – wie unter 15. [https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xv] schon angedeutet – mit dieser Einteilung, die ab 1.9.2020 Platz greift, beinahe die bis Anfang der 1970er-Jahre geltende Dekanatsordnung „wiederhergestellt“ wird, sind die „Seelsorgeräume“ in unserer Diözese mit den meisten Inhalten auch an die Stelle der Dekanate getreten[3]. Inhaltlich wird hier erneut darauf verwiesen, dass diese Zusammenschlüsse von Pfarren „auch vom soziologischen Blickwinkel aus in möglichst homogener Weise definiert werden, damit eine wirkliche Gesamtpastoral in missionarischer Hinsicht verwirklicht werden kann“ (55)[4]. Daher – so die Instruktion unter 60: „Um das gemeinsame missionarische Handeln und die Seelsorge effektiver zur Geltung zu bringen, erscheint es angemessen, dass sich gemeinsame pastorale Dienste für bestimmte Bereiche (z. B. für die Katechese, die Caritas, die Jugend- oder Familienpastoral) für die Pfarreien des Zusammenschlusses mit der Teilnahme aller, die zum Volk Gottes gehören, d. h. der Kleriker, der Gottgeweihten, der Mitglieder des apostolischen Lebens und der Gläubigen, bilden.“

Es geht also darum, das Miteinander von Kirche – im speziellen eben hier als Miteinander von Pfarren und anderen Erfahrungsräumen von Kirche – „um ihrer Sendung“ willen zu gestalten. Durch Pastoralpläne, die wir in den Seelsorgeräumen zu erarbeiten erbitten, soll deutlich werden: weil wir in ein- und derselben „Gegend“ wohnen, wissen wir uns gemeinsam zu diesem und jenem herausgefordert und wollen nicht bloß nebeneinander leben, sondern gemeinsam Zeugnis geben, „leben mit einem, der lebt“[5], indem wir über den „eigenen Kirchturm“ hinausschauen. So soll etwa auch – wie es in unseren gesamtdiözesanen „strategischen Zielen“ zum Ausdruck gebracht wird – die Solidarität zwischen den einzelnen Pfarren, auch jene im Materiellen, gestärkt werden. In Hinkunft kommt dies daher auch dadurch zum Ausdruck, dass die Diözese das für die Pastoral angestellte Personal in gewisser Anzahl eben nicht mehr einzelnen Pfarren zur Verfügung stellt, sondern in die Seelsorgeräume sendet[6]. Zu diesen hauptamtlichen Personen gesellen sich vor Ort noch jene, die für die einzelnen kirchlichen Erfahrungsräume in ihrer Unterschiedlichkeit Ansprechpersonen sind. Ihrer aller Miteinander ist herausgefordert, dieses Personal dann entsprechend deren Charismen und Funktionen in geeigneter Weise so „zu verteilen“, dass die notwendigen Aufgaben in dem Maß erfüllt werden können, das möglich ist. Um es mit dem Zukunftsbild auszudrücken: „Wir brauchen Frauen und Männer, die ermöglichen und befähigen“[7], denn im Leib Christi, der die Kirche ist, gibt es unterschiedlichste Glieder und damit auch Charismen und Begabungen, die den ganzen Leib aufbauen (vgl. 1Kor12 oder auch Röm 12). Das gemeinsame missionarische Voranschreiten von Kirche ist eben nicht eines, das lediglich von 1 Person – etwa dem Pfarrer[8] – geprägt und „befohlen“ wird, sondern ein Vorangehen der „Herde mit ihrem Hirten“, wobei dieser – ich rufe Papst Franziskus in Erinnerung, der dies den italienischen Bischöfen in Erinnerung gerufen hat – mal der Herde voranzugehen hat, mal inmitten derselben geht, mal ihr hinterhergeht[9]. Damit wird deutlich: hier geht es nicht um ein „oben“ und „unten“, nicht darum, wer denn nun innerhalb der Kirche „51%“ und damit auf alle Fälle die Mehrheit hinter sich hat. Es ist ein gemeinsames Voranschreiten vonnöten, in dem – klarerweise – jede und jeder unterschiedliche Funktionen und damit auch Verantwortung innehat, jede und jeder aber sich Christus gegenüber verantwortlich weiß, der der einzige Herr seiner Kirche ist. Dies rechtlich entsprechend abzubilden ist ob der menschlichen Seite von Kirche [und  jeder Gesellschaft] zum Schutz vor [zu] großen Konflikten notwendig; diese rechtliche Klärung macht aber den Grund-Sinn der gemeinsamen Sendung und damit auch der gemeinsam getragenen Verantwortung nicht obsolet. Hinzu kommt – wohl auch aufgrund unserer Geschichte – ein waches (Un-)Rechtsbewusstsein unter vielen, das daher versucht ist bzw. scheint, Recht als den einzigen gangbaren Weg zu sehen statt die bedeutsame Tatsache ernst zu nehmen, dass Rechtssetzung, Normen immer bestimmte Werte schützen wollen.[10]

Das schrittweise Vorgehen bei diesem Prozess wird in der Instruktion hier erneut aufgenommen, da eben nicht „per Dekret“ oder „per Diözesan-Gesetz“ Pfarrer ihres Pfarr-Amtes enthoben werden können. Wir in der Steiermark haben den Weg gewählt, alle – betroffenen – Pfarrer darum zu bitten, auch deswegen, weil wir den Leiter des Seelsorgeraumes, im Idealfall ist er Pfarrer aller Pfarren des Raumes, nach dem Dekret der Bischofskonferenz auf eine gewisse Zeit (6 Jahre) bestellen[11]. Dass damit die Lenkungskompetenz der Diözesanleitung[12] nicht erleichtert wird, ist klar und sei – nicht nur am Rande erwähnt. Aber: es geht eben um die missionarische Dimension – und diese inhaltliche „Sendungsperspektive“ lässt sich, auch hier, nur schwer in rechtliche Vorschriften münzen, weil diese eben nicht Abbild des Lebens sind, sondern für das Beschreiten eines Weges lediglich dessen Leitplanken.

Schließlich – und ich beziehe mich hier auf 59: wir hatten für die synodale Struktur, aus der Kirche lebt, schon seit Jahren viele Möglichkeiten, diese zu realisieren: so etwa konnte für bislang bestehende Pfarrverbände auf verschiedene Weise das gemeinsame Vorangehen vor Ort geregelt werden: gemeinsamer Vorstand der PGR, gemeinsamer PGR [gebildet auf unterschiedliche Weise]. In jeder Pfarre war und bleibt es verständlich, einen pfarrlichen Vermögenswerwaltungsrat, bei uns eben „Wirtschaftsrat“ zu konstituieren.

[1] Die Vielfalt der Begriffe, die etwa in 52 beim „Dekanat“ und eben hier mit der Bezeichnung „pastorale Einheit“ deutlich wird, braucht jeweils zunächst die inhaltliche Abgleichung mit der Instruktion – denn was bei uns so bezeichnet wird, kann in einer anderen Diözese anders heißen; was in der Instruktion so bezeichnet und mit bestimmten Inhalten versehen ist, muss nicht automatisch bei uns gleich heißen u.ä.m.

[2] Abermals wird die Problematik deutlich, dass mitunter gesamtkirchliche Dokumente Gefahr laufen, missverstanden zu werden, weil sich regional unterschiedliche Begrifflichkeiten herauskristallisiert haben oder auch Formen kirchlichen Lebens, die mit derselben Begrifflichkeit unterschiedliche Inhalte verbinden. Gerade deswegen ist ehrliche und sachgemäßer Dialog zwischen den Beteiligten gefordert – „populistische“ Meinungsmache ist nicht entsprechend, wird m.E. aber auch in der Kirche – von mehreren Seiten (?) – angewendet – Kommunikation ist eben eine heikle Angelegenheit, will sie wirklich gelingen.

[3] Dass ich hier von den „meisten Inhalten“ spreche, hat den einfachen Grund: das Visitationswesen ist schon seit Jahrzehnten bei unser eher diözesan geregelt [erst jüngst wurde wieder ein Visitator ernannt]. Durch die modernen Mittel der elektronischen Datenverarbeitung ist es daher auch auf dieser Ebene mittlerweile interessanter, die Visitation der Bücher etc. durchzuführen – in unserer Diözese sind mittlerweile sowohl Buchhaltung wie auch Matrikenbücher (also die Personenstandsbücher, die die Pfarren zu führen haben) zentral im Netzwerk serviciert, sodass gegenseitige Vertretungen und Aushilfen optimal ermöglicht wären und auch sind. Dem Ordinarius sind für jeweils gewisse Bereiche daher seine Referenten „vor Ort“, die „Regionalkoordinatoren“ zur Seite gestellt, um in Zukunft ein möglichst professionelles Visitationswesen – am ehesten wohl mit der „internen Revision“ bei Betrieben zu vergleichen, angereichert um – vor allem bei der Bischöflichen [Pastoral-]Visitation – seelsorgliche Entwicklungsfragen. Ich hege die Hoffnung, dass mit der Zeit über dieses Instrument, das dem Bischof aufgegeben ist [can. 396 §1: dort ist von einer „jährlichen Visitation“ die Rede, die in unserer Diözese schlicht unmöglich ist] verbunden mit einem klugen eben neu aufzusetzenden Modus die Kirchenentwicklung in der Diözese Graz-Seckau in Hinkunft begleitet wird.

[4] Nichts anderes ist bei uns geschehen, als wir mit den Verantwortlichen vor Ort gemeinsam versucht haben, diese territorialen Umschreibungen zu definieren: „Welche Pfarren gehören zu welchem Seelsorgeraum?“ In diesen Prozess waren freilich – zu unterschiedlichen Zeitpunkten – auch die diözesanen Gremien eingebunden, die gehört wurden.

[5] Bewusst sei hier ein geflügeltes Wort des verstorbenen Bischofs von Aachen Klaus Hemmerle aufgegriffen.

[6] Dies sind Priester, Diakone – zumeist ist dieser Dienst ehrenamtlich, nur einige von ihnen sind kirchliche Angestellte, Pfarrsekretärinnen, Pastoralreferentinnen u.ä.m.

[7] Zukunftsbild der Diözese Graz-Seckau, II/7 [https://www.katholische-kirche-steiermark.at/dl/rKMtJmoJKnMJqx4KJKJmMJOKk/Zukunftsbild_2019_Ansicht.pdf, 7.8.2020] – die dort auffindbare Fassung ist nicht jene Letztfassung, die im Gesamtgefüge des Entwicklungsprozesses beständig in Begrifflichkeit usw. adaptiert wird, was deren prinzipielle inhaltliche Ausrichtung nicht tangiert.

[8] Und – verzeihen Sie – „machen wir uns nichts vor“: es kommt auch vor, dass eben nicht der Pfarrer – eben auch, weil dieser krank oder schon gebrechlich ist – andere de facto dann in die Rolle dessen schlüpfen, der die Grundverantwortung für die Sendung der Kirche für diese Gemeinschaft trägt.

[9] Franziskus an die italienischen Bischöfe am 23.5.2013: „Ja, Hirt sein bedeutet jeden Tag an die Gnade und die Kraft zu glauben, die vom Herrn kommt, trotz all unserer Schwäche, und die Verantwortung zu übernehmen, der Herde voran zu gehen, frei von Lasten die das gesunde apostolische Vorangehen behindern, und es bedeutet in der Leitung ohne Zögern unsere Stimme hörbar zu machen, sei es für die, die den Glauben angenommen haben, sei es für die, die „nicht aus diesem Stall“ sind (Joh 10:16). Wir sind gerufen, den Traum Gottes zu unserem zu machen, dessen Haus keine Ausschlüsse von Menschen oder Völkern kennt, wie es Jesaja prophetisch in der ersten Lesung angekündigt hat (Jes 2:2-5). Hirte sein bedeutet aber auch, sich darauf einzustellen inmitten der Herde und auch hinter ihr zu gehen: Fähig zu sein, die stille Geschichte dessen zu hören, der leidet und die Schritte derer zu stützen, die sich fürchten, sie zu machen; bereit, aufzurichten, zu ermutigen und neu Hoffnung zu schenken. Aus dem Teilen mit den Armen geht unser Glauben immer gestärkt hervor: Lassen wir also jede Form von Vermessenheit beiseite und knien wir vor denen nieder, die der Herr unserem Dienst anvertraut hat.“ (http://w2.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2013/documents/papa-francesco_20130523_omelia-professio-fidei-cei.html 7.8.2020)

[10] Der Umgang etwa mit den Gesetzen und Verordnungen in der COVID-Krise scheinen mir hierfür Erweis zu sein: nicht der Inhalt und damit das, was Eigenverantwortung im besten Sinn des Wortes meint, stehen im Vordergrund, sondern eher die Frage: „Was darf ich (nicht)? – und damit auch: „Wieso darf man dort das und hier dasselbe nicht?“ Klar ist freilich auch, dass – und hier nehmen wir uns nicht aus: Vorschriften, die es einzuhalten gilt, sind auch zu begründen und nicht bloß zu veröffentlichen. Ergänzend muss auch dazu gesagt werden, dass wir in einer durchaus komplexen Gesellschaft leben und daher oft auch und sofort -zog Gegenargumente geltend gemacht werden um sich selbst „frei“ zu spielen und zu fühlen, sich nicht an Normen und Gesetzmäßigkeiten halten zu müssen. Dieser Lebensstil ist nichts Neues: ich erinnere mich noch gut daran, dass mein Vater unmittelbar nach der Einführung der Gurtenpflicht für die Fahrer eines PKW – weil er dies nicht wollte – alles daransetzte und sich aus irgendwelchen Gründen bestätigen ließ, dass er Gurte nicht anlegen muss.

[11] vgl. can. 522.

[12] Erneut sei auf die Spannung hingewiesen, dass der Dienst des Pfarrers zwar einer „unter der Autorität“ des Bischofs ist, doch die Kompetenzen dieser Autorität Pfarrern gegenüber nicht geklärt sind und sich inhaltlich etwa mit der prinzipiellen Regel der Ernennung auf „unbegrenzte Zeit“ spießt.

instruiert werden – XV

15. Dekanate

Der Abschnitt VII.b der Instruktion widmet sich kurz (52-53) den Dekanaten[1], die gem. can. 374 §2 die Seelsorge durch gemeinsames Handeln fördern soll. Gemäß can. 374 §1 ist jede Diözese geeignet zu unterteilen – hier werden eben die Pfarren benannt. Daraus folgt unter anderem, dass Dekanate nicht unbedingt notwendig sind[2]. In unseren Überlegungen über das Mit- und Zueinander in der ganzen Diözese und der Art und Weise, wie wir Kirche gemeinsam leben und entwickeln, war relativ schnell klar, den vom Kirchenrecht vorgesehenen diözesanen Gremien Diözesan- und Priesterrat jene Bedeutung zu geben, die ihnen dort zugedacht ist. Da darüber hinaus durch die Einführung der „Seelsorgeräume“[3] – also einer territorial wie auch sozialräumlich Vernetzung – ohnedies auf ein Miteinander zwischen den verschiedenen Erfahrungsräumen von Kirche gesetzt wird wurde es ermöglicht, diese – weitere – Zwischenebene zu entfernen. Interessant war und ist für mich die Beobachtung, dass im Zuge der Überlegungen zur territorialen Umschreibung der Sozialräume für die Seelsorgeräume vielfach jene Größen gefunden wurden, die vor der nunmehr vorletzten Regulierung in den 1970iger-Jahren die Dekanate bildeten. Topographische Gründe, Bevölkerungsdichte, bestehende Pfarren – auch in ihren Größen, Lebensräume [Schulen, …] und weitere Kriterien[4] waren ausschlaggebend für die von den Verantwortungsträgern erarbeiteten und der Diözesanleitung vorgelegten territorialen Umschreibung der nunmehr rd. 50 Seelsorgeräumen, in denen die 388 Pfarren gefasst sind.[5] Mit anderen Worten und kurz zusammengefasst: am ehesten ist die neue „mittlere Ebene“ der Seelsorgeräume, die eingezogen wurde, mit dem Dekanat zu vergleichen.

Dass wir aufgrund der flächenmäßigen Ausdehnung – Graz-Seckau ist nach dieser Maßzahl die größte Diözese in Österreich – mit der Schaffung von „Regionen“[6] „Referenten des Ordinarius“ eingeführt haben, die für den unmittelbaren „link“ zwischen Ordinariat und dem Leben von „Kirche vor Ort“ Kommunikationsscharnieren ähnlich Aufgaben erfüllen. Die Regionen sind daher eben nicht die neue Form von „Dekanat“, sondern mit jeweils spezifischen Aufgaben des Ordinarius[7] durch diesen betraut, die sich auch ändern können[8]. Sie sind aber auch nicht das, was in der Instruktion (61) mit „pastoraler Zone“ gemeint ist, da in unserem Fall auf dieser Ebene keinerlei (priesterliche) Leitungsaufgaben – zumindest derzeit – wahrgenommen werden.  Zugleich sind deren Koordinatoren Anlaufstelle für die einzelnen Seelsorgeräume wie auch das Ordinariat, Initiativen von Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen – inkl. geistlicher – zu initiieren und eben zu koordinieren; sie arbeiten eng mit den Regionalkoordinatoren der diözesanen Caritas zusammen und sind Anlaufstelle für die Fragen des Landes Steiermark in unsere Richtung, da auch die politische Landschaft diese Ebene als wichtig erachtet hat. Da dies völliges Neuland für uns als Kirche ist, wird diese „Pionier-„Arbeit wohl in den kommenden Monaten unsererseits gut evaluiert werden, um nach der ersten Funktionsperiode ggf. neu bedacht und in die Form unserer Kirchengestalt eingepasst zu werden.

[1] Wiewohl – s. unten – in unserer Diözese seit dem 1.9.2018 keine Dekanate mehr existieren, widme ich in meinen Gedanken diesem Abschnitt der Instruktion einen kurzen Artikel. Im übrigen könnte – vereinfacht gesagt – VIIb. und VIIc. der Instruktion für unsere Diözese zusammen betrachtet werden. –
Darüber hinaus wäre auch anzufragen, ob nicht durch die Anführung der Dekanate wie auch überpfarrlicher Strukturen, die im folgenden reich Platz finden in der Instruktion der Titel und damit die Überschrift („die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde“) eigentlich etwas anderes andeuten und angeben als eigentlich intendiert ist. Hier wäre zweifelsfrei ein wirklicher Kritikpunkt an der Instruktion einzubringen: geht es um Strukturveränderungen innerhalb von Diözesen oder geht es um – und damit eher inhaltlich – „missionarische“ Ausrichtung. Andererseits: wenn sich Pfarren dem entsprechend neu zu orientieren haben, dann kann eben – aus und im Miteinander der Lebens- und Erfahrungsräume von Kirche, wie es eben auch Pfarren sind, dieses nicht ausgeblendet bleiben. Dennoch: wäre es nicht angebracht, schon von Anfang an klar zu sagen, worum es wirklich geht – schlicht: um der Transparenz willen, da man ja eigentlich sonst Gefahr läuft – und die Kritik an der Instruktion macht dies ja auch deutlich – hehre Worte (einleitend) zu formulieren, diese aber nicht gis in die Konkretionen hinein auszubuchstabieren?

[2] Eine der für mich ziemlich unangebrachten Kritikpunkte an unserer Diözesanreform und Kirchenentwicklung war der Vorwurf, dass Rom wohl auch deswegen bislang nichts gegen uns unternommen hätte, weil auch Rom daran gelegen sei, die „Macht der Dechanten“ zu beschneiden, die etwa in anderen Diözesen – damit war wohl Linz gemacht – einen bereits ernannten Weihbischof zum Amtsverzicht gezwungen hätten.

[3] siehe: https://www.katholische-kirche-steiermark.at/portal/pfarren/artikelpfarren/article/5931.html

[4] Freilich muss auch ergänzt werden, dass – so eine Vermutung – in anderen Gegenden, in denen der Grundgedanke des „Miteinander Kircheseins für …“ nicht so sehr im Vordergrund gestanden ist, die der Diözesanleitung unterbreiteten Vorschläge für die territoriale Umschreibung der Seelsorgeräume, die gemeinsam erarbeitet worden ist, eher von konkreten (Priester-)Persönlichkeiten und damit eigentlich „klerikal“ bestimmt sich leiten ließen.

[5] Interessant ist für mich zu ergänzen, dass es – wenn ich mich recht erinnere – lediglich in 3 Regionen schwierig war, zu einmütig gefassten Seelorgeraum-Umschreibungen zu kommen. Hier hat dann die Diözesanleitung – auch mit erneuter Rücksprache mit den sogenannten „Regionalkoordinatoren“ – eine Entscheidung getroffen. Da aber insgesamt diese territoriale Unterteilung – sie ist ja eine „Föderation von Pfarren“ – „lebendig“ ist, kann die wohl mit September 2020 auch dekretierte Seelsorgeraum-Umschreibung da und dort in den kommenden Jahren noch eine Veränderung erfahren. – Dort, wo klar ist, dass die inhaltliche Entwicklung der Seelsorgeräume nicht im gedachten Ausmaß verwirklicht werden kann, wird dennoch der Seelsorgeraum territorial umschrieben, damit in der ganzen Diözese ein Ordnungsprinzip vorhanden ist. Auch ist es da und dort der Fall, dass aufgrund konkreter Situationen – leider meist abhängig von den dort agierenden Pfarrern – die eine oder andere Pfarre in einem Raum derzeit nicht am Miteinander teilnehmen wird, das letztlich auch Kirche ausmacht. Hier erscheint mir als Bischof auf Nachholbedarf im Kirchenrecht gegeben zu sein und in der Instruktion daher auch überhaupt nicht Bezug genommen worden zu sein: was bedeutet es nämlich wirklich, dass Pfarrer „unter der Autorität des Bischofs“ die Leitung der Pfarre anvertraut wird [can. 515 §1; vgl. auch can. 528 §2 in Bezug auf die Liturgie], wenn er zugleich als „eigener Hirte“ [can. 516 §1] für die Pfarre ist? Mir scheinen, dass in so manchen kodikarischen Festsetzungen unterschiedliche Bilder von Kirche und auch unterschiedliche historische Entwicklungsprozesse von Kirche mitunter „unversöhnt“ nebeneinanderstehen und daher in der Umsetzung Probleme bereiten.

[6] Diese sind im Übrigen praktisch den vom Land Steiermark praktizierten Regionen angepasst. Lediglich den „Zentralraum“ unterteilen wir in „Stadtkirche Graz“ und „Steiermark-Mitte“, da wir der Auffassung sind, das kirchliches Leben im Großraum Graz eine wiederum „andere Anbindung“ an das Gesamt der Diözese braucht als die anderen 7 Regionen. Siehe hierzu auch: https://www.katholische-kirche-steiermark.at/portal/pfarren/artikelpfarren/article/5931.html.

[7] „Diözesanleitung“ im engeren Sinn: Bischof, (stv.) Generalvikar, Bischofsvikare

[8] So etwa wurden die Regionalkoordinatoren in der Phase der Gründung der Seelsorgeräume mit der Begleitung der Prozesse hierzu vor Ort beauftragt; der Priester im jeweiligen Team ist unmittelbarer Ansprechpartner für priesterliche Fragestellungen; ganz allgemein werden sie – weil sie eben „näher dran“ sind in Anstellungsfragen des pastoralen Personals einbezogen usw.

instruiert werden – XIV

15. (staats)kirchenrechtliche Situation

Die heutigen Überlegungen mögen nicht unbedingt die wichtigsten sein, sind aber dennoch notwendig, weil die Instruktion der Kleruskongregation die allgemeine Situation der Welt im Blick hat, die aber durch staatskirchenrechtliche wie auch teilkirchenrechtliche Besonderheiten auch mit zu bedenken sind. Diese aber haben immer (!) Vorrang und haben daher logischer Weise – so es sie gibt – nicht von den allgemeinen Normen des Kirchenrechts umfasst. Wobei ich daran denke? Nun etwa an die deutsche Situation, in der das, was bei uns „Pfarrgemeinderat“ heißt und das, was bei uns in der Steiermark „Wirtschaftsrat“ heißt andere Aufgaben haben und daher auch anders strukturiert sind. – Mag dies aufs erste nicht von besonderer Bedeutung sein, so ist dies zu bedenken vor allem dann notwendig, wenn Strukturen verändert werden sollen/wollen.

Nun denn: es gibt also das Rechtsinstitut „Pfarre“. Vereinfacht gesagt: diese Institution ist kirchenrechtlich betrachtet, in dieser Form erst mit dem neuen Kirchenrecht 1983 eingeführt worden. Vorher gab es die „Pfarrkirche“ („Kirchenpfründe“), durch die die materiellen Notwendigkeiten für das Leben der Kirche vor Ort, also der Pfarre, aufgebracht werden sollten; die „Pfarrpfründe“ hingegen wurden dem amtierenden Pfarrer „verliehen“ und dienten als – vereinfacht gesagt – „Bauernhof“ des Pfarrers zu dessen persönlicher Versorgung. Zu früheren Zeiten, auch wieder vereinfacht ausgedrückt, war es also notwendig, dass eine Gemeinschaft, die „Pfarre“ werden wollte, dem kirchlichen bzw. staatlichen Oberhaupt (letzteres ist auch interessant!) nachweisen musste, dass sich der Pfarrer wie auch die Pfarre selbst versorgen können. Diese Trennung wurde prinzipiell mit dem Codex des kanonischen Rechts aufgehoben; das österreichische Teilkirchenrecht behielt diese unterschiedlichen – auch staatlichen – Rechtspersonen aber bei; das sogenannte Benefizialwesen wurde zwar abgeschafft, aber die Verwaltung der Pfarrpfründe als getrennter staatlicher Rechtsperson wurde beibehalten. Und tatsächlich ist es nach wie vor in unserer Diözese so: ein Teil der Besoldung der Priester wird aus den Erträgnissen der in der „diözesanen Pfründenverwaltung“[1] veranlagten Güter erwirtschaftet. Dies macht insofern Sinn, als es eigentlich sinnlos wäre, die Substanz für die Besoldung der Priester herzunehmen, wäre doch diese auf kurz oder lang aufgebraucht. Ein anderer Teil der Priesterbesoldung kommt aus den Kirchenbeiträgen aller. Vor Ort wird freilich oft zwischen den unterschiedlichen Rechtspersonen nicht unterschieden: „Kirche“ ist „Kirche“ – und tatsächlich ist im „Normalfall“ dem auch (fast) keine Bedeutung beizumessen. Sehr wohl aber ist die Zweckwidmung ernst zu nehmen: Pfarrpfründe dienen, vereinfacht gesagt, dem Lebensunterhalt der Priester; die Kirchenpfründe („Pfarrkirche“ in der Rechtsperson oder noch einfacher lediglich „Pfarre“) dem Unterhalt für das pfarrliche Leben. Mit dem Kirchenbeitrag wird daher prinzipiell das „bewirtschaftet“, was darüber hinaus notwendig sind: das sind vor allem die Personalkosten für jene, die in der Seelsorge angestellt sind, darüber hinaus gibt es Zuschüsse für Bauwerke (vor allem die Pfarrkirchen und die Pfarrhöfe; allesamt gibt es derzeit ca. 2.000 Gebäude, die in irgendeiner Art und Weise der diözesanen Verwaltung unterliegen) und Gelder fließen an überdiözesane Notwendigkeiten wie etwa die Bischofskonferenz und diözesane Einrichtungen (Priesterseminar usw.). Wichtig: es muss auch noch angeführt werden, dass Ordensgemeinschaften weitestgehend „außerhalb“ der diözesanen wie pfarrlichen „Rechtssprechung“ sind: so etwa gibt es „Admonter Pfarren“, deren Verwaltung eben dem Stift unterliegen[2]. Wo andererseits Ordenspriester oder Ordensfrauen im diözesanen Dienst (als Kapläne, als Pfarrer, in anderen Kategorien der Seelsorge …) eingesetzt sind, dort überweist die Diözese dem Orden entsprechend den Vereinbarungen Abgeltungen. – Alles klar?

All das – und dies ist hier vereinfacht (!) dargestellt – muss freilich bei allen Fragestellungen von Pfarr-Errichtungen, Pfarr-Auflösungen, Kirchenprofanierungen[3] etc. zu bedenken. Jede vereinfachende Behauptung ist demnach zu einfach und muss auch nicht auf andere Diözesen zutreffen. Dass diese Instruktion eben vom geltenden allgemeinen Kirchenrecht ausgeht und nicht alle „Besonderheiten“ weltweit kasuistisch benennen kann ist klar, bedeutet aber auch, dass das, was mit der Instruktion als „Leitplanken“ angegeben wird, tatsächlich der Füllung durch das Leben bedarf. Deutlich wird dadurch aber eben auch – erneut – dass die Veränderungen unter Bedachtnahme vieler Argumente zu erfolgen hat und nicht allgemein, sondern – um das Leben wirklich ernst zu nehmen – speziell begründet werden müssen.

[1] Es muss ergänzt werden: aufgrund der Geschichte einzelner Pfarren ist „klar“, dass die Besitzungen unterschiedlich groß waren, was zur Folge hatte, dass die Pfarrer eben einen größeren oder auch kleineren Bauernhof zu bewirtschaften hatten. Erst mit der Einführung der „diözesanen Pfründenverwaltung“ wurde daher eine Besoldung für die Priester ermöglicht und Ungleichheiten zwischen den „Pfarrherren“ beseitigt.

[2] Und selbst hier gibt es Unterschiede: „inkorporierte Pfarren“ sind solche, wo die Gebäude einem Stift gehören; „Patronatspfarren“ hingegen sind wieder solche, wo der Eigentümer bzw. Stifter („Patron“) besondere Rechte hat (das können sowohl Orden wie auch Privatpersonen oder juristische Personen sein). Aus alledem wird deutlich, dass die Geschichte und damit „Kirchen-Entwicklung“ in den vergangenen Jahrhunderten alles andere als eine geradlinige war: Form und Gestalt von Kirche hat sich immer wieder verändert – und auch wir sind in unseren Tagen eben auch – wieder einmal – Zeugen von Veränderungen in der äußeren Gestalt von Kirche. Das zeugt von Lebendigkeit, macht aber so manches auch kompliziert und vor allem: es ist „alles nicht so einfach“.

[3] Im Übrigen können Kirchen nicht nur im Eigentum von Orden stehen, sondern auch im Eigentum von privaten und im Eigentum öffentlicher juristischer Personen.